Angst in deinen Augen
klug, hier allein herzufahren, Miss Cormier. Sie hätten mir sagen sollen, dass Sie das Haus Ihres Vaters verlassen.“
„Was bin ich, eine Gefangene?“, murmelte sie und ging wieder zum Schrank, um eine weitere Ladung Kleider herauszuholen. „Woher wissen Sie überhaupt, dass ich hier bin?“
„Ich habe, kurz nachdem Sie das Haus verlassen hatten, Ihre Stiefmutter angerufen. Sie sagte mir, dass Sie hier sind.“
„Aha. Dürfte ich jetzt vielleicht weitermachen? Ich habe zu tun.“
„Richtig“, brummte Robert. „Sie hat immer zu tun. Das ist nichts Neues.“
Nina fuhr zu ihrem Exverlobten herum. „Was soll das denn jetzt heißen?“
„Ich lasse mir nicht die ganze Schuld zuschieben. Für eine kaputte Beziehung braucht es immer zwei.“
„ Ich habe dich nicht in der Kirche stehen gelassen.“
„Nein, aber du warst ständig unterwegs. Jeden Abend, monatelang.“
„Was? Was? “
„Jeden verdammten Abend habe ich hier mutterseelenallein herumgehockt! Und dabei hätte ich so gern mit dir zu Abend gegessen. Aber du warst nie da.“
„Sie brauchten mich für die Spätschicht. Das war im Moment nicht zu ändern!“
„Du hättest kündigen können.“
„Meinen Job kündigen? Und um was zu tun, kannst du mir das vielleicht mal verraten? Um es einem Mann zu Hause gemütlich zu machen, der sich nicht einmal entscheiden kann, mich zu heiraten?“
„Hättest du mich geliebt, hättest du es getan.“
„Oh, mein Gott. Ich kann es nicht glauben, dass jetzt alles meine Schuld sein soll. Ich habe dich also nicht genug geliebt.“
Sam sagte: „Nina, ich möchte mit Ihnen sprechen.“
„Nicht jetzt!“, fuhren ihn Nina und Robert an.
Robert sagte zu ihr: „Ich finde nur, du solltest wissen, dass ich meine Gründe hatte. Irgendwann reißt jedem der Geduldsfaden. Und dann ist es nur natürlich, sich woanders umzuschauen.“
„Woanders?“ Sie starrte ihn an. Jetzt wurde ihr alles klar. „Dann gab es da also eine andere“, sagte sie leise.
„Was glaubst du?“
„Kenne ich sie?“
„Das spielt jetzt wohl kaum noch eine Rolle.“
„Für mich schon. Wann hast du sie kennengelernt?“
Er wich ihrem Blick aus. „Vor einer Weile.“
„Wann?“
„Das ist doch jetzt egal, ich …“
„Seit sechs Monaten planen wir diese Hochzeit. Gemeinsam. Und du hast es nie für nötig gehalten, mir zu sagen, dass du dich mit einer anderen Frau triffst?“
„Ich sehe, dass du im Moment keinem vernünftigen Argument zugänglich bist. Und solange das so ist, weigere ich mich, darüber zu reden.“ Robert drehte sich um und verließ das Zimmer.
„Vernünftig?“, schrie sie. „Ich bin jetzt vernünftiger, als ich es vor sechs Monaten war!“
Als Antwort erfolgte das Zuknallen der Haustür.
Eine andere Frau, dachte sie. Und ich wusste es nicht. Ich war völlig ahnungslos.
Als sie merkte, dass ihr plötzlich übel wurde, ließ sie sich aufs Bett sinken. Der Kleiderstapel purzelte zu Boden, aber sie registrierte es nicht. Genauso wenig wie sie registrierte, dass ihr die Tränen über die Wangen rollten und auf ihre Bluse tropften. Ihr war schlecht, und sie fühlte sich wie betäubt und nahm nichts wahr außer ihrem Schmerz.
Sie merkte kaum, dass Sam sich neben sie setzte. „Er ist es nicht wert, Nina“, versuchte er sie zu trösten. „Er ist es nicht wert, dass man seinetwegen weint.“
Erst als sich seine Hand über ihre legte, schaute sie auf. Sein Blick lag ruhig auf ihrem Gesicht. „Ich weine ja gar nicht“, sagte sie.
Sanft fuhr er ihr mit einem Finger über die Wange, die nass war von Tränen. „Ich denke schon.“
„Nein, ich weine nicht. Ich weine nicht. “ Sie schluchzte auf und sank an seine Brust. „Ich weine nicht“, wiederholte sie.
Sie spürte nur undeutlich, wie sich seine Arme um ihren Rücken legten und sie an seine Brust zogen. Er sagte kein Wort. Wie immer der lakonische Cop. Aber sie spürte seinen Atem warm auf ihrem Haar, fühlte seine Lippen auf ihrem Scheitel, und sie hörte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte.
Genauso wie ihrer.
Es bedeutet nichts, dachte sie. Er war freundlich zu ihr. Er tröstete sie, so wie er jeden anderen Bürger oder jede andere Bürgerin auch getröstet hätte. Es war das, was sie jeden Tag in der Notaufnahme tat. Es war ihr Job. Es war sein Job.
Oh, aber es tat so gut.
Sie musste ihre ganze Willenskraft aufbringen, um sich aus seiner Umarmung zu lösen. Als sie aufschaute, war sein Gesicht unbewegt, seine grünen Augen gaben
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