Angst in der 9a
Unterarme waren tätowiert. In der Hand hielt er einen Schraubenschlüssel.
»Ich suche mein Rennrad«, erwiderte Tarzan.
»Was?«
»Sind Sie Herr Seibold?«
»Wer sonst! Was willst du hier?«
Aus kleinen Augen unter der niedrigen Stirn starrte er den Jungen böse an.
»Ihr Sohn, Herr Seibold, hat vorhin mein Rennrad gestohlen.Er hat das Kabelschloss aufgezwickt. Das ist schwerer Diebstahl.«
»Du bist wohl blöd, du Spagettifresser«, schrie Seibold. »Für diese unverschämte Behauptung...«
»Schreien Sie nicht so!«, unterbrach Tarzan ihn. »Das ändert die Tatsachen nicht. Im Übrigen bin ich kein Italiener, wie Sie mit Ihrer liebenswürdigen Bezeichnung Spagettifresser vermuten. Ich habe zwar dunkles Haar, aber so was gibt es auch nördlich der Alpen, Herr Seibold. Und...«
»Wenn du frech wirst, verdammter Itaker, kriegst du eine hinter die Ohren.«
Kopfschüttelnd meinte Tarzan: »Sie sind offenbar so beschränkt, wie Sie aussehen. Und das ist schlimm. Ansonstenwiederhole ich: Ihr Sohn ist ein gemeiner Dieb. Er hat mein Rad gestohlen. Hier in dieser Garage steht es. Das ist Beweis genug, oder?«
Seibold leckte sich über die Lippen. Aus zusammengekniffenen Augen musterte er Tarzan.
Wie der Vater, so auch der Sohn, dachte Tarzan. Für den ehrenwerten Herrn Seibold sind vermutlich alle Ausländer Gesindel und Pack. Die Schimpfworte sitzen ihm locker auf der Zunge. Und so lernt es sein Sohn von ihm.
»Wie willst du denn beweisen, du Mistbengel, dass dieses Rad dir gehört?«
»Nichts leichter als das. An versteckter Stelle ist mein Name angebracht.« Das stimmte. Ein kleines Metallschild mit Tarzans eingestanztem Namen befand sich unter dem Rennsattel. »Außerdem könnten mindestens 100 Mitschüler das Rad identifizieren (wiedererkennen) .«
»Du bist ein verdammter, verlogener Makkaronifresser. Dir glaube ich kein Wort.«
Tarzan lachte. Die Beschimpfungen dieses dummen Kerls prallten von ihm ab wie Regentropfen von einem Autodach.
»Schließen Sie die Garage auf. Dann zeige ich Ihnen, wo mein Name angebracht ist. Ich heiße Peter Carsten.«
Seibolds Gesicht nahm einen hinterhältigen Ausdruck an.
»Ich habe keinen Schlüssel.«
»Wie Sie wollen«, sagte Tarzan. »Aber Ihr Verhalten, meine ich, macht Sie mitschuldig.«
Er ging um ihn herum, hielt sich dabei außerhalb der Reichweite von Seibolds tätowierten Armen. Dem Kerl war zuzutrauen, dass er mit dem Schraubenschlüssel um sich schlug.
Dann rannte Tarzan los.
Es galt jetzt, die Polizei zu verständigen. Und zwar rasch. Aber die nächste Telefonzelle befand sich ein ganzes Stück entfernt, eine Straße weiter.
Nachdem er etwa 200 Meter gespurtet war, sah er zurück.
Seibold stand in der Einfahrt, geduckt, lauernd, klopfte mit dem Schraubenschlüssel gegen seinen Schenkel und blickte Tarzan nach.
Mist!, dachte der. Wenn er mein Rad jetzt woanders versteckt, bin ich angeschmiert. Aber dann bestehe ich auf einer Durchsuchung des Hauses.
Keuchend erreichte er die Telefonzelle. Zum Glück hatte er ein paar Groschen in der Tasche. Im Telefonbuch fand erdie Rufnummer der Polizeistation vom Rathaus. Er wählte und ließ sich mit Polizeimeister Kaltenberger verbinden, jenem Beamten, der den Diebstahl aufgenommen hatte.
Mit knappen Worten schilderte Tarzan, was anlag.
»Bitte, kommen Sie rasch«, sagte er. »Ich laufe zurück. Ich befürchte, dass Seibold mein Rad aus der Garage nimmt und sonst wo versteckt. Vielleicht will er’s vom Grundstück schaffen. Ich muss ihn beobachten.«
»Ich komme sofort«, versprach der Polizeimeister. Tarzan gönnte sich keine weitere Sekunde zum Verschnaufen.
Er rannte die Neuheimerstraße entlang, die sich endlos zog, bog in die Landschaftsstraße, flitzte an den Kastanien vorbei und – sah sein Rad.
Es lehnte an einem Hydranten (Wasserzapfstelle zum Anschließen von Schläuchen), etwa 200 Schritte von Seibolds Grundstück entfernt.
Pustend blieb Tarzan stehen. Nicht zu fassen! Dieser Kerl entledigte sich des Diebesgutes und dachte, damit sei die Sache ausgestanden.
Rasch untersuchte er seinen kostbaren Drahtesel. Er überprüfte die wichtigen Teile und war froh, alles heil vorzufinden.
Wie wollte Seibold sich rausreden? Die Schultern zucken und behaupten, er wisse von nichts?
Tarzan stieg in den Sattel, fuhr bis in die Nähe des spinatgrünen Hauses, stellte einen Fuß auf den Bordstein und wartete.
Nach wenigen Minuten sah er den Streifenwagen.
Er näherte sich, hielt neben Tarzan;
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