Angst in der 9a
zusammen.
»Entschuldigung!«, murmelte Tarzan – und wollte vorbei.
»Ich stehe hier schon die ganze Zeit«, sagte der Studienrat. »Sozusagen seit dem ersten Wort deiner Rede. Ich wollte dich nicht unterbrechen.« Ohne eine Miene zu verziehen, fügte er hinzu: »Falls du jetzt Unterricht hast – beeil dich!«
Tarzan beeilte sich.
Nachher weiß es das ganze Lehrerzimmer, dachte er. Na schön. Das öffnet den Paukern die Augen über Bettger und Drechsel, ohne dass ich gepetzt habe. Besser, man erkennt die beiden als Ursache des Aufruhrs. Sonst bleibt der schlechte Ruf an der 9a hängen.
In seiner Klasse hatte der Unterricht schon begonnen. Ausgerechnet bei Dr. Frederike Raul.
Jetzt giftet sie mich an, dachte Tarzan. Und wie soll ichbefriedigend erklären, weshalb ich schon wieder zu spät komme?
Aber – oh Wunder! Sie sah ihn nur mit einem milden Blick an.
»Nun aber rasch auf deinen Platz«, sagte sie.
Als Tarzan sich aufatmend niederließ, lächelte Gaby ihm zu.
Sie und auch Karl wussten von Klößchen, was er unternommen hatte.
Karl grinste breit, zeigte das Siegeszeichen V mit zwei Fingern und nahm seine Nickelbrille ab, um sie am Ärmel zu polieren. Bei ihm ist das ein Zeichen von Aufregung.
Die Raul hatte sich hinter ihren Tisch gestellt. Ihr säuerliches Lächeln kam nicht von Herzen – war aber als sensationeller Umschwung zu werten. Den Kindern kam sie wie ausgewechselt vor.
Sie zog drei Hefte aus ihrer Mappe.
»So Leid es mir tut – bei der Benotung der letzten Arbeit bin ich in einem Fall durcheinander geraten. Ich hatte eine... andere Arbeit im Kopf, als ich die Note unter Gabys Nacherzählung schrieb. Deshalb ist die Verwechslung passiert. Zum Glück hat Gaby sich gerührt und ich konnte die Note ändern. Sie hat eine Eins bis Zwei.«
Gaby musste einen Freudenschrei unterdrücken. Strahlend nahm sie ihr Heft in Empfang.
»Vielen Dank!«, sagte sie, worauf Frederike Rauls Lächeln ganz schief wurde.
Gaby drehte sich um und tauschte mit ihren Freunden bedeutungsvolle Blicke.
Tarzan und Karl erhielten ihre Hefte zurück, ohne dass die Raul dazu etwas sagte.
Ein voller Erfolg!, dachte Tarzan. Nachher müssen wir der Mübo danken. Für die war es bestimmt kein Vergnügen, sich mit der Raul auseinander zu setzen. Ist schon eine Wucht! Und gegen eine so nette Person zetteln Bettger undDrechsel Stunk an. Unbegreiflich! Oder vielmehr: Da muss wirklich was Gewichtiges dahinterstecken. Dann begreift man schon eher, weshalb das geschieht.
Kaum hatte es zur Pause geschellt und die Raul die Klasse verlassen, wurde Gaby von ihren Freunden umringt.
Klößchen gratulierte mit einer gravitätischen (betont feierlichen) Verbeugung und Karl sprach hochtrabend vom Sieg profunder (gründlicher) Sprachkenntnisse über die Ungerechtigkeit.
Tarzan hielt sich nur einen Moment auf.
»Will doch mal sehen, ob Bettger und Drechsel die 9a wieder unter die Fuchtel nehmen.«
Er lief auf den Flur.
Dr. Lemberg ging bereits in Richtung Lehrerzimmer. Von Tarzans Klasse lag die 9a nur ein paar Räume entfernt.
Alle anderen Türen standen offen. Die der 9a war geschlossen. Dahinter hörte er Bettgers Stimme.
Er drückte auf die Klinke, aber die ließ sich um keinen Millimeter bewegen. Jemand hatte innen einen Stuhl darunter geklemmt.
»Nun?«, fragte Klößchen.
Er und auch Gaby und Karl waren Tarzan gefolgt. »Pst!«, wehrte Tarzan ab und legte horchend das Ohr an die Tür.
»...deshalb überlegt es euch«, sagte Bettger in diesem Moment. Er schien zur Klasse zu reden, denn er sprach laut, und alle anderen schwiegen. »Wenn Carsten einen vermöbelt, wird der bestimmt nicht ernstlich verletzt. Dieser Idiot nennt das fair. Und als Judo-Kämpfer bildet er sich auch noch was drauf ein. Aber wenn ihr es mit den King-Rockern zu tun kriegt, und das jeden Tag wieder, dann fliegen die Fetzen. Die machen jeden von euch so kaputt, dass es besser wäre, wenn ihr auswandert. Deshalb warne ich euch. Nachher bei der Mübo sagt keiner ein Wort. Was sie auch tut, wensie auch fragt. Wer auch nur einen Laut von sich gibt, den setzen wir auf die schwarze Liste; und die kriegen die Rocker. Klar? Einzige Ausnahme: Wenn die blöde Pute den Direktor holt, dann tun wir so, als wäre nichts gewesen. Jeder benimmt sich ganz normal und streitet ab, dass wir irgendwas gegen die Mübo hätten. Wir wären doch wie immer. Offenbar bilde Frau Müller-Borello sich das alles nur ein. Und«, fügte er drohend hinzu, »ich rate keinem von
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