Angst - Kilborn, J: Angst - Afraid
wusste, war er zur Seite gesprungen und stand daher noch aufrecht, als Erwin kopfüber in den Schmutz fiel.
Dann spürte er etwas Warmes und Flüssiges in seinem Gesicht.
Es brannte ihm in den Augen, und als er wusste, dass es Blut war, ließ er fassungslos die Taschenlampe fallen.
»Erwin, was zum …«
Erwin rollte auf den Rücken und richtete den Strahl seiner Lampe dabei direkt auf Joshs Gesicht, der sofort zusammenzuckte, als ob man ihm ein Messer ins Auge gestochen hätte. Josh hielt die Hände hoch, um sich vor dem gleißenden Licht zu schützen. Plötzlich hörte er das vertraute Knattern des Tanklastermotors. Er warf einen Blick über die Schulter und sah, wie sich das blaurote Streiflicht entfernte, um dann entlang der Gold Star Road zu verschwinden.
Josh trat ein oder zwei Schritte auf den Tankwagen zu, hielt dann aber inne. Er war sich nicht sicher, ob er den Fahrer überhaupt aufhalten wollte, denn eine genauere Untersuchung der Leichen im Cockpit hatte ergeben, dass sie ein abgebrochener Rotor unmöglich hätte enthaupten können. Josh hatte so etwas noch nie gesehen, aber bemerkt, dass die Schnitte nicht glatt und die Sitzgurte über den Schultern noch intakt gewesen waren.
Jemand hatte sie ermordet. Und Josh hatte Besseres zu tun, als diesem Jemand über den Weg zu laufen.
Er las seine Taschenlampe auf und richtete sie auf Erwin, der sich noch immer nicht vom Boden aufgerappelt hatte. Sein Freund war von oben bis unten mit Blut besudelt, so dass er einem roten Monster glich. Josh eilte zu ihm, beugte sich über Erwin und untersuchte ihn hastig, um die Wunde zu entdecken.
»Ein Reh«, stammelte Erwin. »Etwas hat ein Reh getötet.«
»Bist du verletzt?«
»Mir geht es gut.«
Josh hielt ihm eine Hand hin und half seinem gewichtigen Freund auf die Beine. Dann holte er sein Handy hervor. Kein
Empfang. Er ging zehn Schritte nach links, das Telefon wie einen Talisman vor sich ausgestreckt. Immer noch nichts.
Er starrte erneut auf den Helikopter und überlegte, was er als Nächstes unternehmen sollte. Im Bauch des Hubschraubers befanden sich vier leere Sitze und eine große Bahre mit dicken Lederriemen. Sie erinnerte ihn an eine Requisite aus einem Frankenstein-Film. Sie war für ein mindestens zwei Meter großes Geschöpf gebaut, und der Brustriemen war lang genug, um eine Regentonne zu sichern. Was zum Teufel war da festgezurrt gewesen?
»Wir müssen die Staatspolizei einschalten«, meinte Josh.
Erwin suchte sein Hemd nach einem sauberen Stück Stoff ab, um sich das Gesicht abzuwischen, aber die Suche war vergebens. Er war von oben bis unten voller Blut.
»Und was ist mit Sheriff Streng?«
Josh wusste, dass das hier zu viel für den alten Sheriff war. Es war nicht böse gemeint, schließlich war er ein netter Kerl, wahrscheinlich ein guter Mann - damals. Aber das hier, was immer es auch war, wäre ihm garantiert fünf Kragenweiten zu groß.
»Du wartest hier auf den Sheriff. Ich gehe zu Sal und Maggie und hole Hilfe.«
»Josh … Das Reh … Es war beinahe in der Mitte entzweigeschnitten. Was auch immer es getötet hat …«
Josh vollendete den Satz in Gedanken: … ist da draußen im Wald.
Er warf erneut einen Blick auf die Frankenstein-Bahre, biss die Zähne zusammen und machte sich auf in den Wald zu Sal und Maggie.
Kurz bevor der Strom ausfiel, begannen sämtliche Telefone in Safe Haven zu klingeln. Erst eines, dann fünf, dann zwanzig. Dann mehrere Hundert - und das alles innerhalb von fünf Minuten. Anrufe zu so später Stunde hießen normalerweise nichts Gutes, aber jeder Einwohner, der abgehoben hatte, schüttelte die Müdigkeit von sich und begann seine Nachbarn anzurufen. Genau, wie es ihm aufgetragen worden war.
Festnetz-Telefone und Handys, von altbackenen Bakelit-Geräten mit Wählscheibe bis zu hochmodernen Smart-Phones - alles klingelte in allen nur erdenklichen Klingeltönen. Sie hallten durch die Nacht, drangen durch den Wald, wurden über den Big Lake und Little Lake McDonald getragen und verloren sich letztlich zwischen den Schreien der Eulen und dem Zirpen der Zikaden.
Kurz darauf folgte ein Exodus, der von einem wilden Gehupe begleitet wurde, als die Menschen in die Stadt fuhren. Endlich würde der Wohlstand auch Safe Haven erreichen und jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind die Geldbörse füllen.
Aber die Feierlichkeiten sollten nicht lange andauern.
Sheriff Ace Streng bog in die Gold Star Road. Der Vierradantrieb seines Jeeps wühlte sich in den
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