Angst - Kilborn, J: Angst - Afraid
zu weinen. Er wusste, dass man keinem Fremden trauen durfte; schließlich taten manche von ihnen die fürchterlichsten Sachen mit kleinen Jungen und Mädchen. Er dachte wieder, dass seine Mom doch Recht gehabt hatte: Er war noch zu jung, um allein zu Hause zu bleiben, und es war allein seine Schuld, dass der Fremde jetzt bei ihnen im Flur stand.
Nachdem er einige Minuten geweint hatte, fing der Mann an, das Feuerzeug an- und auszumachen. Das machte Duncan Angst, aber es beruhigte ihn auch auf eine merkwürdige
Weise, weil er sich darauf konzentrieren konnte. Der Mann hatte ihm nicht wehgetan und bisher noch kein einziges Wort gesprochen. Er stand einfach nur da und spielte mit seinem Feuerzeug.
»Wer sind Sie?«, fragte Duncan endlich.
»Ich bin Bernie.« Er kicherte.
Sein Kichern hörte sich wie das eines Mädchens an.
»Wo ist mein Hund?«
In dem lodernden Orange der Flamme sah Duncan Bernie lächeln. Er führte die Flamme zu dem Hundehalsband in seiner Hand, und das Plastik begann in der Hitze zu schmelzen.
»Acryl. Dieser schwarze Rauch enthält viel Chlor. Chlor, Dioxin und Furan. Ganz schlecht, so etwas einzuatmen. Aber ich kann mir nicht helfen. Nur eine kleine Nase voll, eine ganz kleine Nase voll, weil ich es so mag.«
Bernie beugte sich über den schwarzen öligen Rauch und sog ihn in sich auf.
»Haben Sie … Woof verbrannt?«, wollte Duncan wissen, wobei ihm die Stimme beinahe versagte.
»Riechst du ihn? Riechst du deinen Hund, Duncan?« Duncan hatte keine Ahnung, woher der Mann seinen Namen kannte. »Wenn Fell brennt, riecht es wie Haare. Hast du schon einmal brennende Haare gerochen?« Er kicherte wieder.
Duncan schüttelte den Kopf. Bernie ließ die Überreste des Halsbands auf den Boden fallen, und die Flammen erloschen. Dann griff er nach Duncan. Der Junge versuchte ihm auszuweichen, aber Bernies große Hand packte ihn einfach am Nacken.
»Riech das hier. Riech es.«
Er kicherte wieder und hielt die Flamme neben seinem rechten Ohr an Duncans Kopf, so dass er schon bald ein Zischen und Knistern vernahm. Es klang wie bratender Speck.
Dann stieg ihm der grässliche Gestank seiner schmelzenden Haare in die Nase.
Als er die Hitze zu spüren begann, schaltete Bernie das Feuerzeug aus und schlug Duncan auf den Kopf, um die Flamme zu ersticken. Der Junge verlor beinahe das Gleichgewicht.
»Rieche es. Rieche. Ein schlimmer Geruch. Hast du deinen Hund gerochen? Antworte mir! Antworte mir.«
»Nein, ich habe ihn nicht gerochen.« Duncan fuhr mit der Hand zu der Stelle, an der er geschlagen worden war. Seine Haare fühlten sich klebrig und hart an, als ob ein Kaugummi darin steckte.
»Nachdem das Fell erst einmal verbrannt ist, riecht es gut. Wie Hamburger. Oder Hotdog.« Er kicherte wieder. »Menschen riechen wie Spareribs, wenn sie brennen. Und sie schmecken wie Spareribs. Rauchig. Rauchig und gut. Hast du dich jemals verbrannt?«
Duncan war kurz davor, sich in die Hose zu machen. Er konnte Bernie nicht antworten, schüttelte aber den Kopf.
»Schmerzen, sehr schlimme Schmerzen. Schau es dir an.«
Bernie zog sein schwarzes Hemd hoch und entblößte seine Brust. Sein ganzer Körper war mit kleinen hautfarbenen Narben übersät, und Duncan musste unweigerlich an den gekochten Schinken denken, den Mom im Feinkostladen für seine Pausenbrötchen kaufte.
»Eine schlimme, schlimme Verbrennung. Tote Nerven. Siehst du?«
Bernie zündete das Feuerzeug erneut an und hielt die Flamme gegen seine vernarbte Haut.
»Kann nichts spüren. Aber riechen … Riechen tut es gut. Guter Geruch.«
Ein ekelhaft süßlicher Geruch stieg Duncan in die Nase und verdrängte die Eindrücke seiner schmelzenden Haare. Die Tatsache,
dass es tatsächlich lecker roch, machte es umso widerlicher.
Bernie zog sich das Hemd wieder über. »Hunger … Davon kriege ich Hunger. Gib mir deine Hand.« Er kicherte.
Duncan verschränkte die Arme hinter dem Rücken und trat einen Schritt zurück.
»Du wirst nicht sterben. Ich will dir nur was zeigen. Verbrennungen ersten Grades … ersten Grades … Sie zerstören nur die Oberhaut, die äußere Schicht der Haut. Das führt zu einer Rötung und Schwellung. Tut weh … wie Sonnenbrand.«
Bernie trat einen Schritt auf Duncan zu. Dann noch einen und noch einen, bis er ihn in eine Ecke des Schlafzimmers gedrängt hatte. Duncan wusste nicht, ob er noch lange stehen konnte. Seine Beine wollten nachgeben. Er schluchzte, und sein Schluchzen verwandelte sich in einen Schluckauf. Wo war
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