Angst über London
mehr, dieser Anblick war schwer zu verkraften. Natürlich hatte sich auch ihr Herzschlag beschleunigt. Das Blut rauschte durch die Adern, in ihrem Kopf hämmerte und pochte es.
Sie hatte bereits zahlreiche Visionen gehabt, doch so stark und vor allen Dingen so grauenhaft waren sie noch nie gewesen.
Wach lag Miriam di Carlo auf dem Bett und starrte gegen die Decke, die in der Dunkelheit nur schemenhaft zu ahnen war.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte.
Danach begann sie zu überlegen, was zu tun war. Sollte sie zur Polizei gehen? Kaum, denn da lachte man sie aus. Nicht zum ersten Mal wäre das geschehen. Bei den nüchtern denkenden Beamten hielt man nicht viel von ihren Wahrnehmungen und Voraussagen. Diese Möglichkeit fiel also fort.
Sollte sie die Stadt verlassen? Fliehen, solange noch Zeit war? Auch die Alternative schloss sie in ihre Überlegungen mit ein, andererseits wäre sie sich feige vorgekommen.
Hatte sie nicht die Pflicht, etwas zu tun?
Sie hing an London. Diese gewaltige, herrliche Millionenstadt an der Themse durfte nicht dem Untergang geweiht werden.
Aber konnte sie das überhaupt verhindern?
Miriam war realistisch genug, um ihre Möglichkeit abzuschätzen. Nein, sie würde es kaum schaffen. Dazu reichte die Kraft nicht. Sie war nicht so stark.
»Ich werde noch wahnsinnig«, murmelte sie und richtete sich auf. Dabei beugte sie sich zur Seite, und ihre tastende Hand fand den Schalter der Nachttischlampe. Sie machte Licht.
Miriam di Carlo stand auf und schritt um ihr Bett herum. Sie ging wie eine alte Frau.
Gebeugt, sorgenschwer…
Die kleine Küche lag dem Schlafzimmer gegenüber. Miriam verspürte plötzlich Durst. Sie wollte sich etwas zu trinken holen. Ihre Kehle fühlte sich an wie ein Reibeisen.
Regelrecht ausgedörrt. Sie öffnete die Kühlschranktuer und griff zur Flasche mit dem Mineralwasser. Sie nahm sich nicht die Zeit, ein Glas vollzuschenken, sondern trank direkt aus der Flasche.
Das kalte Wasser tat gut. Ein paar Mal atmete sie tief durch. Durst hatte sie keinen mehr, doch das dumpfe, drückende Gefühl im Kopf war geblieben.
Die Angst ließ sich nicht so einfach ausradieren.
Miriam verließ die Küche und ging zurück ins Schlafzimmer. In der Diele hing eine alte Uhr. Zwei Stunden nach Mitternacht.
Den Rest der Nacht würde sie wohl nicht schlafen können, davon war Miriam di Carlo überzeugt. Sie wollte sich nur ins Bett legen und nachdenken. Noch einmal schaute die Frau aus dem Fenster im Schlafzimmer. Ihre Augen wurden groß, sie begann zu zittern, denn der Himmel hatte sich verändert.
Er war nicht mehr so grau wie zuvor, sondern zeigte einen rötlichen Schein. Und dieser Schein wurde von einem Gesicht abgestrahlt, das in seiner kalten Schönheit beeindruckend war. Und irgendwie passten sogar die beiden Hörner dazu, die aus der Stirn wuchsen. Miriam hatte das Gefühl, als würden die kalten, erbarmungslosen Augen nur sie anschauen, und der Mund verzog sich dabei zu einem wissenden, spöttischen Lächeln.
Miriam di Carlo kannte die Frau nicht, sie hatte sie noch nie gesehen und auch nichts von ihr gehört. Sie wusste nicht, dass es sich um Asmodina, die Tochter des Teufels, handelte…
***
Ich hatte in der Nacht sehr schlecht geschlafen. Den Grund wusste ich auch nicht, es war halt so.
Gegen zwei Uhr wurde ich zum ersten Mal wach. Sie kennen das sicher, plötzlich öffnet man die Augen und ist sofort da. Man sitzt im Bett und überlegt, was einen geweckt haben könnte, aber da ist nichts. Man findet es nicht heraus.
Ich stand sogar auf, streckte mir im Spiegel der Diele die Zunge heraus und ging durch die Wohnung. Alles war ruhig, verändert hatte sich nichts. Auf dem Tisch stand noch die leere Bierflasche vom Abend. Ich nahm sie mit in die Küche, stellte sie in den Kühlschrank und trank einen Schluck Saft.
Obwohl mein Durst gelöscht war, wollte das unruhige Gefühl in mir nicht weichen. Irgend etwas lag in der Luft, das spürte ich genau, und ich hatte in den vergangenen Jahren gelernt, auf solche Zeichen zu achten. Auch spürte ich ein leichtes Brennen auf meiner rechten Wange. Dort saß die sichelförmige Narbe, die ich einem meiner Erzfeinde, Dr. Tod, zu verdanken hatte.
Feinde - derer hatte ich viele.
Nicht nur Dr. Tod und seine Mordliga, sondern sämtliche Schwarzblütler gehörten zu meinen Gegnern. Ich jagte sie, wo immer ich sie antraf, denn nicht umsonst nannte man mich den Geisterjäger. Angestellt bei
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