Angst vor dem zweiten Anfang: turbulante Familiengeschichte (German Edition)
„Die Kinder finden die Namen schön.“
Sanna setzte David auf einen Stuhl und reichte ihm eine rote Plastikfeuerwehr aus der Spielzeugkiste. „Sie wollten die Katzen Mietzi und Bunny nennen, aber ich habe dagegen gestimmt. Murri und Leo hat mehr Klasse, findest du nicht auch?“
„Äh, sicher.“ Er wusste nicht, was er denken sollte. Bislang hatte er das weibliche Katzenduo noch nicht kennengelernt, deshalb wollte er sich mit seinem Urteil noch zurückhalten. Am Ende stellten sich die niedlichen Kätzchen als sibirische Tiger heraus.
Sanna bückte sich und hob Egon hoch. Johannes beobachtete, wie sie den Schwanz mit einer Hand festhielt, um nicht geschlagen zu werden. „Ich gehe hoch und bringe den King wieder in seinen Käfig.“
Sie sah Jonas und Anna-Maria an. „Ihr zwei unterhaltet solange unseren Gast. Ich bin gleich wieder da.“
Sie verließ das Zimmer und drückte dabei den Leguan wie ein Baby an ihre Brust. Johannes hörte ihr leises Summen. Sie summte ein Lied.
„Johannes willst du meine Fische sehen?“ bot Anna-Maria an.
Himmel, Anna-Marias Aquarium hatte er ganz vergessen. „Klar, Süße. Gib mir nur eine Minute Zeit, um mich von dem Treffen mit Egon zu erholen.“ Er blickte Jonas an und fragte: „Wie viele Tiere wohnen sonst noch hier?“
Jonas musste nachdenken. „Da sind Rocco, Murri, Leo, Egon, Anna-Marias Fische und Davids Käferhaus.“
„Ein Käferhaus?“ Was in aller Welt war ein Käferhaus?
„Mama hat es ihm geschenkt.“ Jonas zeigte acht Zentimeter in der Luft auf. „Es ist ungefähr so groß und aus Holz und Draht gemacht. Es hat sogar eine kleine Tür.“
„Und was hat David darin?“ Es klang harmlos, aber andererseits hatte er gerade einen armlangen Leguan unter der Couch gesehen.
„Als ich das letztemal nachgesehen habe, zwei Marienkäfer und eine Raupe.“
Johannes holte das erste Mal nach dem Zwischenspiel mit Egon tief Luft und entspannte sich.
Sanna blickte in die dichten grünen Blätter der alten Eiche hoch und konnte so gerade eben den Boden von Jonas Baumhaus erkennen. Zehn Leitersprossen über ihr schwang Johannes den Hammer und murmelte etwas vor sich hin. Als er sich von seinem durch Egon verursachten Schock erholt hatte, hatte er ihr den Stapel Bücher und Kataloge überreicht, sich einen Werkzeuggürtel übergezogen, der an der Tür gelegen hatte, und war in den Garten gegangen, Jonas immer dicht hinter sich.
Sanna hatte die Bücher auf den Küchentisch gelegt und war ihm bis zur Eiche gefolgt, wobei sie hatte, wissen wollen, was er eigentlich vorhatte. Seine Antwort hatte sie verblüfft. Er wollte Jonas ein Geburtstagsgeschenk machen, und zwar das Haus im Baum verbessern. Sie hatte am Fuße der Leiter gestanden und in den Baum hochgesehen und dabei verlangt, dass er sofort runterkommen solle. Der Einzige, der die Leiter heruntergestiegen kam, war Jonas gewesen. Auf dem Arm trug er zwei Körbe mit Spielsachen, die im Baumhaus gelegen hatten. Was immer Johannes geplant hatte, es sollte eine Überraschung für Jonas werden, deshalb hatte er ihn hinuntergeschickt.
Die letzte halbe Stunde hatte Jonas am Gartentisch gesessen und die Eiche angestarrt, als ob ein Wunder in deren Zweigen geschähe. Der Ausdruck der Verklärung auf Jonas Gesicht gefiel Sanna überhaupt nicht, und die Tatsache, dass Johannes einfach in ihren Garten einbrach und sich an dem Baumhaus zu schaffen machte, gefiel ihr noch weniger. Es gab nur einen Weg, ihn aufzuhalten. Sie musste die Leiter hochklettern und ihm entgegentreten. Die letzten neunundzwanzig Minuten hatte sie damit verbracht, hier zu sitzen und all ihren Mut zusammenzunehmen. An der schrecklichen Höhe hatte sich dabei nichts geändert, aber wenigstens schlugen ihre Knie nun nicht mehr aneinander. Jetzt waren sie nur noch zitternde Geleemasse.
Sie konnte nicht zulassen, dass Johannes das Baumhaus für Jonas aufmöbelte. Es war zu viel. Zu persönlich. Zu verdammt die Aufgabe eines Papis. Für wen hielt sich Johannes eigentlich für die Erfüllung von Jonas Geburtstagswunsch? Nur, weil er zufällig ihr Geburtstagswunsch gewesen war, hieß das noch lange nicht, dass er auch der von Jonas werden musste. Ihr Sohn würde nur um so mehr verletzt werden, wenn Johannes sich dann davonmachte. Sanna packte die Leiter und fing an hochzuklettern.
Als ihr Kopf und ihre Schultern so hoch waren, dass sie durch die Zweige und Blätter ragten, zitterte sie so heftig, dass sie kaum noch die Balance halten
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