Angst vor dem zweiten Anfang: turbulante Familiengeschichte (German Edition)
Jeans ab, und instinktiv öffnete sie die Schenkel. Sie zog ihn näher an sich und bog den Rücken durch. Sie wollte alles von ihm fühlen. Sie wollte wieder spüren, wie er in sie stieß. Sie wollte …
„Mama!“, rief Jonas vom Fuß des Baumes.
Sanna erstarrte, als der Ruf ihres Sohnes den süßen Nebel durchdrang, den Johannes Küsse bei ihr erzeugt hatten. Die Hitze der Verlegenheit trat an die Stelle der Hitze des Verlangens.
Johannes rollte von ihr herunter. Er sah genauso verwirrt aus, wie sie sich fühlte. Rasch setzte er sich auf und blickte zur Leiter hin. Das Baumhaus maß fünf Mal fünf Meter, lag zehn Meter über dem Erdboden und war von mehr Blättern umrahmt, als man in einem Tarzanfilm sah. Warum hatte sie dann das seltsame Gefühl, sie hätte Johannes in einem Aquarium geküsst?
„Mama!“, rief Jonas noch einmal. „Du lässt Johannes doch weitermachen, oder?“
Sie hörte Johannes leises Lachen hinter sich, brachte es aber nicht über sich, sich umzudrehen und ihn anzusehen. Sie wussten beide, dass sie ihn nicht zurückgehalten hätte. Wer weiß, wohin es geführt hätte, wenn Jonas nicht gerufen hätte? Es war eine beunruhigende Frage. Sanna seufzte schwer und rief zurück: „Ja, Jonas, ich lasse Johannes weitermachen.“
6.
Johannes glitt zwischen die kühlen Laken, schob den neuesten Bestsellerkrimi beiseite und griff nach dem Telefon. Er musste Sannas Stimme hören, ehe er einschlief. Er hatte sie und die Kinder vor zwei Stunden verlassen, aber er wusste, dass es ihm schwer werden würde einzuschlafen, ohne Sanna eine gute Nacht gewünscht zu haben. Er lehnte sich bequem gegen das Kopfteil des Bettes und drückte die sieben Nummern. Telefonate waren schließlich keine Verabredung.
Er hatte das dumme Gefühl, das ihm langsam die Entschuldigungen dafür ausgingen, warum er mal eben bei Sanna und den Kindern vorbeischauen konnte. Wie viel Zeit konnte man sich lassen, um ein kleines Baumhaus aufzumöbeln? Wie oft konnte er seinen Rat für die neue Tapete anbieten? Er brauchte die abendlichen Telefonate, um die Kommunikation zwischen ihnen beiden aufrechtzuerhalten. Sein Anruf gestern hatte Sanna offenbar nicht erschreckt, nur seine Einladung.
Das Telefon klingelte nur einmal, dann war Sanna schon dran.
„Hallo?“
„Hallo, Sanna.“
„Johannes?“
Er lächelte über die leichte Heiserkeit in ihrer Stimme.
„Hast du jemand anderen erwartet?“
„Ist das nicht die gleiche Unterhaltung wie gestern Nacht?“ Ihr leises Lachen musste der Grund dafür sein, dass man Glasfaserkabel entwickelt hatte. So konnte er jeden ihrer Atemzüge hören. Er konnte sie praktisch lächeln hören.
„Willst du damit sagen, Sanna, dass wir uns in ausgefahrenen Gleisen bewegen?“
„Du und ausgefahrene Gleise? Ich glaube, dass du dich noch nicht einen Tag in deinem Leben in ausgefahrenen Gleisen bewegt hast, Johannes.“
„Woher willst du wissen, wie mein Leben war?“ Er war gespannt zu erfahren, was sie sich vorstellte. Bislang hatten sie sich meistens über banale Dinge des Alltags unterhalten.
„Du bist das einzige Kind von sehr dynamischen Eltern. Wahrscheinlich hat es dir an nichts gefehlt, und du bist ordentlich verwöhnt worden. Du bist eindeutig intelligent und verfügst über eine gewisse Bildung, ich nehme an aus Privatschulen, sicher einer Eliteschule und mehreren Jahren einer hervorragenden Universität. Ich weiß nicht, warum du nicht wie deine Eltern Arzt geworden bist, aber das werde ich sicher noch erfahren. Du hast Architektur gewählt, weil es dir Spaß macht und du sehr gut darin bist. Da du in noch jungen Jahren schon sehr erfolgreich bist, überlegst du wahrscheinlich schon, was du als Nächstes machen kannst, um das Bisherige zu übertreffen. Du bist sozusagen auf der Suche nach dem nächsten Gipfel, den du erklimmen kannst.“ Sie seufzte komisch. „Tut mir leid, Johannes, aber da kann ich nirgends ausgetretene Gleise entdecken.“
Sie hatte mit ihrer Einschätzung in so vielen Punkten recht, das er gar nicht erst nachzählte.
Johannes war verblüfft, dass sie ihn nach so kurzer Zeit schon so gut einzuschätzen wusste, und ergänzte, was noch fehlte. „Ich kann den Anblick von Blut nicht ertragen.“
„Wie bitte?“
Er musste lächeln, weil sie so verwirrt klang. „Ich sagte, dass ich den Anblick von Blut nicht ertragen kann. Deshalb bin ich nicht wie meine
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