Angst vor dem zweiten Anfang: turbulante Familiengeschichte (German Edition)
gewisser Weise, ja. Rainer stammte aus einer Familie mit wenig Geld. Er war besessen von dem Gedanken, geschäftlich Erfolg zu haben. Es reichte ihm nicht, ein Angestellter in höherer Position zu sein, er wollte ein eigenes Geschäft besitzen. Er wollte die besten und einträglichsten Aufträge haben. Er wollte das neueste Auto fahren. Sein Haus musste in der richtigen Nachbarschaft liegen, die Kleidung aus dem richtigen Geschäft stammen, und seine Familie sollte eine Vorzeigefamilie sein. Versteh mich nicht falsch, Johannes. Rainer hat mich und die Kinder geliebt. Und wir ihn. Aber um seinen Lebenstraum zu erfüllen, musste er viele Opfer bringen.“
„Und er hat dich geopfert.“
„Er hat seine Familie geopfert, nicht nur mich.“ Sanna blickte zu dem Foto hinüber, das auf dem Kaminsims stand. Die Aufnahme war zwei Monate vor Rainers Tod gemacht worden. Es war ein Familienbild mit Rainer, ihr und den drei Kindern, aber es war kein Schnappschuss. Der teure Fotograf, den Rainer hatte kommen lassen, war ein echter Profi gewesen. Er hatte das Foto gestellt, aber so, dass es trotzdem sehr natürlich wirkte.
„Rainer hat sieben Tage in der Woche gearbeitet, wenn nicht im Büro, dann auf dem Golfplatz. Seine Arbeitstage waren lang und endeten meist mit Geschäftsessen und Besprechungen, die bis tief in die Nacht dauerten. Erst habe ich gedacht, dass er irgendwo eine Geliebte hätte, aber dem war nicht so. Manchmal wünschte ich, es wäre so gewesen. Gegen eine andere Frau hätte ich kämpfen können, aber nicht gegen seinen Traum vom Erfolg.
Wie geht man gegen einen Traum und gegen Ehrgeiz an? Rainer wollte das Beste für seine Familie und hat wirklich geglaubt, er täte uns etwas Gutes, indem er uns finanziell alles gegeben hat.“
„Hast du ihm denn nie gesagt, wie du dich fühlst?“
„Oh, oft.“ Sie sah von dem Foto auf. „Einmal habe ich sogar damit gedroht, ihn zu verlassen. Er hat versprochen, weniger zu arbeiten, ein besserer Ehemann und Vater zu werden. Aber dann gab es immer noch einen Auftrag, noch einen Kunden. Er sagte, sobald er es geschafft hätte, hätte er auch mehr Zeit, zu entspannen und das Familienleben zu genießen. Ich glaubte ihm, weil ich wusste, dass er wirklich davon überzeugt war, das Beste für seine Familie zu tun.“
„Woran ist Rainer gestorben, Sanna?“
„An einem Herzinfarkt. Er war gerade achtunddreißig geworden. Eines Tages saß er in seinem repräsentativen Büro am Schreibtisch, damit beschäftigt, einer Anzeigenkampagne den letzten Schliff zu geben, als er plötzlich vom Stuhl kippte. Er war schon tot, ehe er auf dem Fußboden aufschlug. Bei der Autopsie stellte sich heraus, dass er immer schon einen Herzfehler gehabt hatte, von dem er nichts wusste.“
„Das tut mir leid, Sanna..“ Himmel dachte Johannes, er konnte sich nicht einmal vorstellen, was sie durchgemacht hatte.
„Mir auch, Johannes, aber ich kann die Vergangenheit nicht ändern.“ Sie stellte sich direkt vor ihn. „Ich will nicht die gleichen Fehler machen wie in der Vergangenheit. Du bist wie Rainer, Johannes, ein Mensch, der alles perfekt haben will. Deine Arbeit ist dein Leben, und das ist nicht falsch. Aber ich weiß auch, dass ich nicht damit konkurrieren kann. Ich kann dir nur alles Glück und allen Erfolg der Welt wünschen.“
Sie ging zur Haustür, als erwartete sie, er würde ihr folgen. Er tat es auch, aber nur, weil sie aus dem Zimmer gegangen war und er ihr noch einiges zu sagen hatte. Und zwar eine ganze Menge.
Sanna stand an der Tür.
„Die Kinder und ich danken dir für einen sehr schönen Abend, Johannes.“
„Erwartest du wirklich, dass ich jetzt durch diese Tür da gehe und nicht mehr wiederkomme?“
„Ja, genau das erwarte ich.“
Er wollte nicht gehen, aber Sanna machte nicht den Eindruck, als könnte sie noch mehr Widerspruch ertragen. Sie sah aus, als würde sie gleich zusammenbrechen. Sie sah auch so aus, als würde sie ihm gar nicht zuhören. „Ich gehe, Sanna.. Aber ich komme wieder.“ Er küsste sie kurz auf den Mund. „Während du im Leben eines Mannes, der keine Prioritäten zu setzen wusste, die zweite Geige gespielt hast, habe ich in der Wirklichkeit gelebt. Das, was zwischen uns ist, ist etwas Besonderes, Sanna.. Ich werde das nicht einfach aufgeben.“ Er öffnete die Tür und trat auf die Veranda. „Und dich auch nicht.“
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