Angst vor dem zweiten Anfang: turbulante Familiengeschichte (German Edition)
jemand Hunger?“
Die Antwort der Kinder, die im Chor „Ja“ schrien, war ohrenbetäubend.
Sanna zog die Decke um Jonas fest und gab ihm einen Gutenachtkuss. Es war zu heiß für eine Decke, aber Jonas beharrte darauf, dass irgendetwas ihn zudeckte. „Gute Nacht, mein Schatz. Bis morgen früh.“ Sie strich ihm über das Haar und richtete sich auf.
„Mama?“
„Ja?“ David schlief schon in seinem Zimmer, und Anna-Maria lag mit Heidi neben sich in ihrem Bett. Jonas war immer der Letzte, der abends seinen Gute- Nacht-Kuss bekam. Heute hatte das abendliche Ins-Bett-Gehen länger gedauert als sonst, weil die Kinder von ihren Erlebnissen noch ganz aufgedreht waren. Johannes hatte sie nicht nur zum Essen eingeladen, sondern auch noch eine Runde Minigolf mit ihnen gespielt. Wie bei einem wunderschönen, lustigen Familienausflug. Nur waren sie keine Familie. Und sie tat gut daran, das nicht zu vergessen, obwohl ihr das heute schwergefallen war, sehr schwer. Sie hätte sich so leicht ihren Träumereien überlassen können.
„Ich mag Johannes wirklich sehr.“ Jonas spielte nervös mit dem Rand seiner Bettdecke.
Sanna zwang sich zu einem neutralen Gesicht. Am liebsten hätte sie die Stirn gerunzelt, mit den Füßen gestampft und geschrien. Sie hatte gewusst, dass das passieren würde. „Das ist schön, Jonas.“
Seine Stimme wurde leise, als ob er nicht ganz sicher sei, wie er die nächste Frage formulieren sollte. „Glaubst du, dass er mich mag?“
Sie unterdrückte ein Stöhnen. Dann holte sie ein paarmal tief Luft, ehe sie sich auf die Bettkante setzte. „Ich weiß, dass er dich mag, Jonas“, antwortete sie und strich ihm eine braune Locke aus der Stirn. Im Zimmer war es dunkel, aber von der Lampe im Flur fiel ein breiter Lichtstreifen auf das Bett. „Was wolltest du mich denn wirklich fragen, Schatz?“
„Wird Johannes unser Papi?“
Bei dem hoffnungsvollen Ausdruck auf seinem Gesicht brach ihr fast das Herz. Seit Jonas Geburtstagsparty war alles so hektisch gewesen, dass sie nicht die Zeit gefunden hatte, sich in Ruhe mit ihm hinzusetzen und ein Gespräch von Mutter zu Sohn über Stiefväter und Wünsche nach einem Papi zu führen. Vielleicht hatte sie das ganze Thema auch nur vermeiden wollen, in der Hoffnung, es würde sich von selber erledigen. „Ich fürchte nicht, Jonas.“
„Aber du hast doch gesagt, dass er mich mag.“ Jonas sah aus, als wollte er gleich weinen. „Er war heute sehr nett zu David, und er hat Anna-Maria nicht angebrüllt, als sie ihr Eis hat fallen lassen. Er ist zurückgegangen und hat ihr ein Neues gekauft.“
„Ich weiß, mein Schatz. Aber all diese Dinge bedeuten nur, dass er ein netter Mensch ist, nicht, dass er euer neuer Papi werden will.“ Sie fragte sich, wie viel sie Jonas erzählen sollte. Sollte sie ihm sagen, dass sie an einem Nachfolger für ihren Vater gar nicht interessiert war? Dass sie nicht nach einem neuen Mann suchte? Sie war sich nicht einmal sicher, ob Jonas begriff, dass ein neuer Papi für ihn ein neuer Ehemann für sie wäre.
„Hast du ihn geküsst?“
Der Schock kam unvorbereitet. „Was hast du gesagt?“ Sie musste sich verhört haben. Ihr siebenjähriger Sohn konnte nicht gefragt haben, ob sie Johannes geküsst hatte.
„Hast du ihn geküsst?“ Jonas kaute an seiner Unterlippe, ein sicheres Zeichen dafür, dass er über etwas nachdachte. „Sam sagt, seine Mama küsst alle Papis. So werden sie zu Papis.“
Sanna versuchte, ihren Atem unter Kontrolle zu halten, aber es gab kein Mittel, ihr heftig schlagendes Herz zu beruhigen. Sie hatte das dumpfe Gefühl, das sie gar nicht hören wollte, was Sam sonst noch alles gesagt hatte. Jonas hatte unbewusst schon eine ihrer Fragen beantwortet. Er wusste, dass Johannes, wenn er sein neuer Papi werden sollte, irgendwie mit ihr verbunden sein musste. Das mit dem Küssen hatte sie für einen Moment irritiert. Aber bei der Sexualerziehung in der Schule, dem Kontakt mit Sam und dem Fernsehen war es nur natürlich, dass Jonas Küssen und Papis miteinander in Zusammenhang brachte. Man konnte den Fernseher nicht einschalten, ohne dass sich gerade zwei Leute küssten.
Sie konnte Jonas nicht sagen, dass sie Johannes geküsst hatte. Sie stöhnte innerlich auf, wenn sie daran dachte, was sie noch alles mit Johannes gemacht hatte. Aber anlügen konnte sie Jonas auch nicht. Am besten war jetzt ein Ablenkungsmanöver. „Man geht nicht herum und küsst Freunde, Jonas. Johannes ist unser
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