Angst vor dem zweiten Anfang: turbulante Familiengeschichte (German Edition)
8.
Am Montagnachmittag stand Johannes in seinem Büro und betrachtete den Verkehr, der durch die Straße floss. In den sieben Jahren, seit er das historische Gebäude gekauft und die alten Wohnungen in Büros umgewandelt hatte, war die City von Poppenbüttel stetig gewachsen. Das Hauptgeschäftsviertel war restauriert worden, und seine Firma hatte die Ehre gehabt, daran beteiligt zu sein. In Poppenbüttel bemühte man sich, die Tradition beizubehalten und dennoch den Anschluss ans 21. Jahrhundert nicht zu verpassen. Und Johannes Meinung nach hatte man hier damit mehr Erfolg gehabt als in den meisten anderen Städten.
Das Handwerkerteam hatte mittlerweile das dritte Stockwerk erreicht. Noch zwei Wochen, und die Büros dort oben waren bezugsfertig. An diesem Morgen hatte er einen Bauingenieur eingestellt, der in eines der Büros einziehen sollte. Zwei weitere vielversprechende Kandidaten würden sich im Laufe der Woche vorstellen.
Seine Firma konnte mit der Entwicklung der Stadt mithalten. Er konnte sich freuen. Aber er tat es nicht.
Er war stolz auf seine Firma und die Leute, die mit ihm zusammenarbeiteten. Alle waren sehr talentiert und gute Mitarbeiter. Von den älteren erfahrenen bis zu den jungen, die frisch von der Uni kamen und davon träumten, die Welt zu verändern, war jeder von ihm persönlich ausgewählt worden. Früher hatte er gedacht, das wäre alles, was er sich vom Leben wünschte. Eine eigene Firma, Karriere und Respekt und Ansehen im Kollegenkreis. Das war alles, wovon er immer geträumt hatte.
Warum reichte es ihm dann nicht?
Sanna! Die Antwort kam sofort und ohne Zögern. Bis er Sanna getroffen hatte, war er zufrieden damit gewesen. Früher hatte er gedacht, er hätte alles. Himmel hatte er sich geirrt! Sein Herz sagte ihm, dass er ohne Sanna gar nichts hatte.
Er hatte ihr ein paar Tage Zeit gelassen, damit sie ihre Entscheidung, ihn nicht wiederzusehen, überdenken, konnte. Das Wochenende war die Hölle gewesen. Normalerweise arbeitete er am Wochenende Liegengebliebenes auf, las oder spielte Golf. An diesem Wochenende hatte er sich nicht auf die Arbeit konzentrieren können, und Golf hatte ihn nicht gereizt. Sannas verstorbener Mann hatte Golf gespielt.
Am Sonntag hatte er seine Eltern besucht. Sein Vater hatte den Tag mit seinen Freunden verbracht. Seine Mutter war in ihrem Arbeitszimmer gewesen, denn sie plante eine Wohltätigkeitsveranstaltung.
Sie war sechsundsiebzig, und ihr Augen waren nicht mehr scharf genug, um den ganzen Tag über ein Mikroskop gebeugt dazu stehen, aber das hielt sie nicht davon ab, weiter gegen den Krebs zu kämpfen. Sie verbrachte unendlich viel Zeit damit, Gelder für die Forschung zusammenzubekommen.
Als Johannes ankam, hatte seine Mutter dennoch ihre Arbeit Arbeit sein lassen, um ihm einen Rat zu geben. Sag Sanna die Wahrheit. Erzähl ihr von deiner gelösten Verlobung mit Gitta. Sag ihr, dass du auch Angst hast und nicht weißt, wohin das alles führen soll. Aber sag ihr vor allem, dass du sie liebst.
Therese hatte nicht mal mit der Wimper gezuckt, als er ihr vor zwei Monaten erzählt hatte, dass er seine Verlobung mit Gitta gelöst habe. Am Sonntag hatte sie allerdings erstaunliches Interesse an Sanna gezeigt, besonders, nachdem er die kleine Bombe hatte platzen lassen, dass Sanna drei Kinder hatte.
Den Rest des Tages hatte sie ihn angesehen, als wäre er irgendein interessantes Objekt unter dem Mikroskop.
Die ganze Nacht hatte er über Sanna und den Rat seiner Mutter nachgedacht. Was hatte er schon zu verlieren? Es gab nichts, was noch schlimmer war, als dass Sanna die Tür vor ihm verschloss. Je mehr er daran dachte, desto verrückter machte es ihn. Sanna war unfair, dass sie ihn für das Verhalten eines anderen Mannes bestrafte.
Johannes rieb sich den Nacken und sah sich in seinem Büro um. Auf dem Tisch in der Ecke waren ein Dutzend Akten und ebenso viele Blaupausen ausgebreitet, die er noch durchsehen musste. Das erste Mal, seit er die Firma Kluger eröffnet hatte, hatte er keine Lust zum Arbeiten. Er wollte nicht hier sein. Er wollte in Sannas Küche sein und frisch gepreßte Limonade trinken und dazu noch warme Schokoladenkekse essen. Er wollte Jonas helfen, Egon zu füttern, und dann das lose Rad an Heidis Wagen für Anna-Maria reparieren. Er wollte David auf den
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