Angst
mich an. Bitte. Jederzeit. Das ist alles, was ich immer gewollt habe.
Ich liebe Dich.
G x
Sie steckte den Brief in einen Umschlag, klebte ihn zu und schrieb ein großes A auf die Vorderseite. In der Halle sagte sie ihrem Bodyguard und Fahrer, dass er die Koffer einladen solle, sie führen gleich zum Flughafen, und ging dann in Alex’ Arbeitszimmer.
Sie klemmte den Umschlag in die Tastatur von Alex’ Computer. Dabei musste sie versehentlich eine Taste gedrückt haben, denn der Bildschirm öffnete sich und zeigte ihr das Bild einer Frau, die sich über einen Schreibtisch beugte. Es dauerte eine Sekunde, bis sie erkannte, dass das Bild sie selbst darstellte. Sie schaute sich um, dann nach oben und sah das rote Lämpchen des Rauchmelders. Die Frau auf dem Bildschirm tat das Gleiche.
Sie drückte wahllos auf ein paar andere Tasten. Nichts passierte. Sie drückte auf Escape, und sofort schrumpfte das Bild, wanderte in die linke obere Ecke des Bildschirms und war nur noch eins von vierundzwanzig aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommenen kleinen Bildern, die sich vom Zentrum aus leicht nach außen wölbten – wie die mu ltiplen Bilder eines Insektenauges. Auf einem von ihnen schien sich etwas zu bewegen. Sie führte mit der Maus den Cursor auf das Bild und klickte. Der Bildschirm füllte sich mit einem Nachtsichtbild von ihr – auf einem Bett liegend, in einem kurzen Kimono, die Beine übereinandergeschlagen, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Neben ihr flackerte eine Kerze so hell wie die Sonne. Das Video war stumm. Sie löste den Gürtel, streifte den Kimono ab und breitete die Arme aus. Im unteren rechten Quadranten des Bildschirms tauchte der Kopf eines Mannes auf – Alex’ Kopf, unverletzt. Auch er zog sich jetzt aus.
Sie hörte ein diskretes Hüsteln. »Madame Hoffmann?«, sagte die Stimme hinter ihr. Sie riss ihren entsetzten Blick von dem Bildschirm los und drehte sich um. In der Tür stand ihr Fahrer, hinter ihm standen zwei Gendarmen mit schwarzen Uniformmützen.
In New York erlebte die New York Stock Exchange um 13:30 Uhr derart heftige Kursschwankungen, dass die Liquidity Replenishment Points bis zu einer Geschwindig keit von sieben pro Minute in die Höhe schossen und ge schätzte zwanzig Prozent Liquidität aus dem Markt nahmen. Der Dow Jones war um mehr als 1,5 Prozent gefallen, der S&P 500 um zwei Prozent. Der VIX war um zehn Prozent gestiegen.
Siebzehn
Die kräftigsten oder diejenigen Individuen, welche am erfolgreichsten mit ihren Lebens-Bedingungen gekämpft haben, werden gewöhnlich am meisten Nachkommenschaft hinterlassen. Aber der Erfolg wird oft davon abhängen, dass die Männchen besondre Waffen oder Vertheidigungs-Mittel […] besitzen.
Charles Darwin
Die Entstehung der Arten , 18 5 9
Z imeysa war Niemandsland – keine Geschichte, keine Geografie, keine Bewohner. Sogar der Name war künstlich, setzte er sich doch nur aus den Initialen von »Zone Industrielle de Meyrin-Satigny« zusammen. Hoffmann fuhr zwischen niedrigen Bauten hindurch, die weder Büro gebäude noch Fabriken waren, sondern irgendwelche Mischformen. Was war das? Was wurde hier produziert? Unmöglich zu sagen. Die skelettartigen Arme von Kränen überragten Baustellen und Lastwagenparkplätze, die verlassen dalagen und auf den Einbruch der Nacht warteten. Ein Ort, der überall auf der Welt hätte sein können. Im Osten, keinen Kilometer entfernt, lag der Flughafen. In der Dämmerung verliehen die Lichter der Terminals den tief hängenden, wellenförmigen Wolken einen matten Glanz. Jeder tief hereinkommende Passagierjet hörte sich an wie eine auf einen Strand krachende Welle: ein donnerndes Crescendo, das an Hoffmanns Nerven zerrte und dann jaulend verebbte, wobei die Landescheinwerfer wie Treibgut zwischen den Kränen und Flachdächern verschwanden.
Hoffmann saß weit vorgebeugt hinter dem Steuer des BMW und fuhr äußerst vorsichtig. Alle paar Meter war die Straße aufgerissen, weil irgendwelche Kabel verlegt wurden. Mal war die linke, mal die rechte Spur gesperrt, sodass er sich durch eine Schikane nach der anderen hindurchschlängeln musste. Hinter einem Ersatzteillager für Volvo, Nissan und Honda zweigte die Route de Cerval nach rechts ab. Er setzte den Blinker. Kurz darauf tauchte links eine Tankstelle auf. Er hielt vor den Zapfsäulen an und ging in den Laden.
Die Aufnahmen der Überwachungskameras zeigten später, wie Hoffmann unschlüssig in den Gängen herumging. Plötzlich beschleunigte er
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