Angst
Karnickel aus, dachte er.
Den verantwortlichen Beamten kannte er nicht – ein Frischling namens Moynier, anscheinend in den Zwanzigern, was allerdings schwer auszumachen war, da unter der Haube nur sein rosarotes Babygesicht zu sehen war. Ebenfalls vor Ort waren der Gerichtsmediziner und der Fotograf, beide in Weiß, beide alte Hasen. Allerdings nicht so alt wie Leclerc. Niemand war so alt wie Leclerc, er war so alt wie der Jura. Er betrachtete die Leiche, deren Kopf am Griff der Badezimmertür festgebunden war. Oberhalb der Schnur, die tief in das Fleisch des Halses schnitt, war der Kopf schwarz angelaufen. Im Gesicht waren verschiedene Schnitte und Abschürfungen zu sehen. Ein Auge war zugeschwollen. So wie der dürre Deutsche aufgeknüpft an der Badtür hing, sah er aus wie eine tote alte Krähe, die ein Bauer zur Abschreckung anderer Aaskrähen hatte liegen lassen. Im Bad gab es keinen Lichtschalter, aber man konnte auch im Halbdunkel das auf der Kloschüssel verschmierte Blut erkennen. Die Stange des Duschvorhangs hing an der Wand herunter, ebenso das Waschbecken.
»Ein Mann aus dem Nachbarzimmer schwört, dass er so um drei Uhr Geräusche eines Kampfes gehört hat«, sagte Moynier. »Am Bett sind auch Blutspuren. Ich werde den Fall vorläufig als Mord einstufen.«
»Clever«, sagte Leclerc.
Der Gerichtsmediziner hustete, um ein Lachen zu unterdrücken.
Moynier bemerkte es nicht. »Es war doch richtig, dass ich Sie angerufen habe?«, sagte er. »Das ist doch der Mann, der den amerikanischen Banker überfallen hat, oder?«
»Schätze schon.«
»Nun, ich hoffe, Sie haben nichts dagegen einzuwenden, Inspektor Leclerc, dass ich diesen Fall übernehme. Ich war schließlich als Erster am Tatort.«
»Mein lieber Kollege, ich bitte sogar darum.«
Leclerc fragte sich, wie ein Mensch, der in einer derart heruntergekommenen Bude abstieg, mit dem Besitzer einer 60-Millionen-Dollar-Villa in Berührung kam. Auf dem Bett lagen in mehreren durchsichtigen Plastikbeuteln die Habseligkeiten des Toten: Kleidung, eine Kamera, zwei Messer, ein Regenmantel, anscheinend vorn aufgeschlitzt. Heute Morgen im Krankenhaus hatte Hoffmann so einen Regenmantel getragen, dachte Leclerc. Er nahm das Netzteil, das auf dem Bett lag.
»Gehört das nicht zu einem Computer?«, fragte er. »Wo ist der?«
Moynier zuckte mit den Achseln. »Wir haben keinen gefunden.«
Leclercs Handy klingelte. Es steckte in seiner Jackentasche. Unter der verdammten Karnickelkutte. Missmutig machte er den Reißverschluss auf und zog sich die Hand schuhe aus. Moynier wollte ihn auf die Risiken einer Tatortkontamination aufmerksam machen, aber Leclerc wandte ihm einfach den Rücken zu. Der Anrufer war Lullin, sein junger Assistent, der noch im Büro war. Er sagte, er habe gerade die Vorkommnisse von heute Nachmittag durchgeschaut, und dabei sei ihm der Anruf einer Psychiaterin aus Vernier aufgefallen, einer Dr. Polidori. Sie habe vor ein paar Stunden wegen eines Patienten angerufen, der potenziell gefährliche schizophrene Symptome gezeigt habe. Sie hätten sich gestritten, sagte sie, aber als der Streifenwagen eingetroffen sei, sei er schon verschwunden gewesen. Der Mann habe Alexander Hoff mann geheißen. Sie hatte keine aktuelle Adresse nennen können, aber eine Beschreibung hinterlassen.
»Hat sie was von einem Computer gesagt?«, fragte Leclerc.
Es entstand eine kurze Pause. Leclerc hörte das Ra scheln von Papier. »Woher wissen Sie das?«, sagte Lullin.
Hoffmann umklammerte immer noch das Stemmeisen, als er aus dem Keller ins Erdgeschoss lief, um Alarm wegen Rajamani zu schlagen. An der Tür zur Lobby blieb er stehen. Durch das viereckige Fenster sah er ein Einsatzteam schwarz uniformierter Gendarmen in schweren Stiefeln in die Halle laufen. Sie hatten Pistolen in der Hand. Hinter ihnen die schwer keuchende Gestalt Leclercs. Als sie das Drehkreuz passiert hatten, wurde der Eingang geschlossen. Zwei bewaffnete Polizisten bezogen davor Stellung.
Hoffmann drehte sich um und hastete wieder die Treppe hinunter in die Tiefgarage. Die Rampe am Tor zur Straße war etwa fünfzig Meter entfernt. Er lief darauf zu. Hinter sich hörte er die leise quietschenden Reifen eines großen schwarzen BMW , der gerade seinen Parkplatz verließ und mit eingeschalteten Scheinwerfern auf ihn zufuhr. Ohne nachzudenken, stellte sich Hoffmann dem Wagen in den Weg. Der Fahrer musste abbremsen, Hoffmann lief zur Fahrerseite und riss die Tür auf.
Angesichts des gespenstischen
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