Angst
eine Frachtabfertigungshalle und eine Müllverwertungsanlage. Die lange Straße endete neben den Bahngleisen als Sackgasse. Das letzte Grundstück war die Nummer 54. Hinter einer Baumreihe ragte das Gebäude blass in der Abenddämmerung auf. Es handelte sich um eine kastenartige Stahlkonstruktion, die vielleicht zwei oder drei Stockwerke hoch war. Hoffmann konnte die Höhe nur schwer einschätzen, da der Bau kein einziges Fenster hatte. Entlang der Dachkante waren Überwachungsscheinwerfer montiert, an den Ecken Videokameras, die Hoffmann folgten, als er vorbeifuhr. Die kurze Einfahrt endete vor zwei Metalltoren, dahinter lag ein leerer Parkplatz. Das gesamte Gelände war von einem Stahlzaun umgeben, der oben mit drei Reihen Stacheldraht abschloss. Hoffmann vermutete, dass das Gebäude ursprünglich eine Lagerhalle oder ein Verteilzentrum gewesen war. Es war bestimmt nicht für seinen aktuellen Verwendungszweck entworfen worden: Dafür hätte die Zeit nicht gereicht. Hoffmann fuhr in die Einfahrt und hielt vor den Toren an. Auf der Höhe des Seitenfensters des Wagens waren eine Tastaturkonsole und eine Gegensprechanlage angebracht und daneben das winzige blassrosa Elefantenauge einer Infrarotkamera.
Er lehnte sich aus dem Fenster, drückte auf die Klingel und wartete. Nichts geschah. Er schaute zu dem Gebäude. Es sah heruntergekommen aus. Er versuchte, sich in die Logik der Maschine hineinzuversetzen, und drückte dann die kleinste Zahl, die sich auf zwei verschiedene Weisen als Summe zweier dritter Potenzen darstellen ließ. Die Torflügel glitten sofort zur Seite.
Er fuhr langsam über den Parkplatz und dann an der Seite des Gebäudes entlang. Im Außenspiegel sah er, dass die Kamera ihm folgte. Von dem Benzingestank auf dem Rücksitz war ihm speiübel. Er bog um die Ecke der Halle und hielt vor einem großen Rolltor aus Stahl, einem Lieferanteneingang, groß genug für Lastwagen. Eine über dem Tor angebrachte Videokamera hatte ihn genau im Visier. Er stieg aus und ging auf das Tor zu. Ebenso wie das Gebäude des Hedgefonds war es durch ein Gesichtserkennungssystem gesichert. Er stellte sich vor den Scanner. Fast augenblicklich hob sich das Tor wie ein Theatervorhang und gab den Blick auf eine leere Ladezone frei. Als Hoffmann sich umdrehte und zum Wagen zurückging, sah er in der Ferne, auf der anderen Seite der Bahngleise, eine Kette aus rot und blau blinkenden Lichtern, die sich schnell bewegte. Der Wind wehte Geräuschfetzen von Polizeisirenen herüber.
Er fuhr schnell in die Ladezone, stellte den Motor ab und lauschte. Jetzt hörte er keine Sirenen mehr. Hatte wahrscheinlich nichts mit ihm zu tun. Er beschloss, das Rolltor zu schließen – für alle Fälle. Er suchte auf der Bedientafel nach einem Lichtschalter, fand aber keinen. Mit den Zähnen riss er die Plastikverpackung der Taschenlampe auf. Er probierte, ob die Lampe funktionierte, dann drückte er auf den Knopf, um das Tor zu schließen. Ein Warnton brummte, und ein orangefarbenes Lämpchen blinkte. Mit den Stahllamellen senkte sich auch die Nacht über Hoffmann. Zehn Sekunden später schlug das Tor auf den Betonboden auf und löschte den letzten Streifen Tageslicht. Er fühlte sich in der Dunkelheit alleingelassen, das Opfer seiner eigenen Einbildungen. Aber die Stille war nicht vollkommen, er hörte Geräusche. Er nahm das Stemmeisen vom Beifahrersitz des BMW . Die Taschen lampe hielt er in der Linken. Er führte den Lichtstrahl die nackten Wände entlang und dann über die Decke. In einer Ecke unter der Decke sah er eine weitere Überwachungskamera. Sie schien bösartig auf ihn herunterzuschauen. Unterhalb des Kameraauges befand sich eine Stahltür, daneben ein Gesichtsscanner. Er klemmte sich das Stemmeisen unter den linken Arm, richtete den Lichtstrahl auf sein Gesicht und legte vorsichtig die rechte Hand auf das Kontrollfeld. Ein paar Sekunden lang geschah nichts, dann öffnete sich die Tür – zögerlich, wie ihm schien. Hoffmann blickte auf ein paar Treppenstufen aus Holz, die zu einem Durchgang hinaufführten.
Er leuchtete in den Gang, an dessen Ende sich eine weitere Tür befand. Jetzt konnte er das schwache Brummen der Prozessoren hören. Die Decke war tief, die Luft kalt, wie in einem Kühlraum. Er tippte auf eine Unterflurbelüftungsanlage, wie sie sie im Computerraum am CERN gehabt hatten. Vorsichtig ging er zu der Tür am Ende des Gangs und legte seine Hand auf den Scanner. Die Tür öffnete sich. Vor ihm lag eine blinkende,
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