Angst
mühelos. »Ach, das war nichts … nichts, was von Bedeutung wäre.«
»Ich meine nur, wegen dieser Bemerkung Ihres Kollegen, dass sie jetzt sowieso nichts mehr machen könnten.«
»Das war nicht wörtlich gemeint. Sie wissen ja, Computer …«
»Ja, sicher, verstehe … Computer.«
Quarry warf die Tür zu. Der Streifenwagen setzte sich in Bewegung. Leclerc drehte sich um und sah, wie der Finanzmann das Gebäude betrat. Ein verschwommener Gedanke ging ihm durch den Kopf. Aber er war zu müde, um ihn weiterzuverfolgen.
»Wohin, Boss?«, fragte der Fahrer.
»Nach Hause«, sagte Leclerc. »Annecy-le-Vieux.«
»Sie wohnen in Frankreich?«
»Gleich hinter der Grenze, ja. Ich weiß ja nicht, wie Sie das schaffen, ich kann mir Genf jedenfalls nicht mehr leisten.«
»Ich weiß, was Sie meinen. Die Ausländer haben sich alles unter den Nagel gerissen …«
Der Fahrer fing an, über Grundstückspreise zu reden. Leclerc lehnte sich zurück und schloss die Augen. Noch bevor sie die französische Grenze erreichten, war er eingeschlafen.
Die Gendarmen vor dem Bürogebäude waren abgezogen worden. Ein schwarz-gelbes Plastikband versperrte den Zutritt zu einem der Fahrstühle. An der Lifttür hing ein Schild: GEFAHR – AUSSER BETRIEB . Der andere Aufzug stand offen. Quarry zögerte kurz, dann stieg er ein.
Im Empfang warteten van der Zyl und Ju-Long auf ihn. Als sie Quarry sahen, standen sie auf. Beide sahen erschüttert aus.
»Wir haben es gerade in den Nachrichten gesehen«, sagte van der Zyl. »Die Aufnahmen von dem Brand, von dieser Fabrikhalle, alles.«
Quarry fluchte und schaute auf seine Uhr. »Am besten schicke ich gleich ein paar E-Mails an unsere wichtigsten Kunden. Besser, sie erfahren es von uns.« Er bemerkte, dass van der Zyl und Ju-Long sich Blicke zuwarfen. »Was ist?«
»Vorher sollten Sie sich noch was anschauen«, sagte Ju-Long.
Quarry folgte den beiden in den Handelsraum. Zu seiner Verwunderung war keiner der Quants nach Hause gegangen. Als er hereinkam, standen sie auf und sahen ihn schweigend an. Er fragte sich, ob das ein Zeichen des Respekts sein sollte. Hoffentlich erwarteten sie jetzt keine Rede, dachte er. Aus reiner Gewohnheit sah er nach oben zu den Finanzkanälen. Der Dow Jones hatte zwei Drittel seiner Verluste wieder wettgemacht und mit einem Minus von 387 Punkten geschlossen. Der VIX war um sechzig Prozent gestiegen. Laut der landesweiten Umfrage am Wahltag war der Ausgang der Wahlen in England noch offen: LAGE VÖLLIG UNKLAR . Das traf es ziemlich genau, dachte Quarry. Er schaute auf einen der Monitore und überprüfte die Ergebnisrechnung des Tages, kniff die Augen zusammen, las die Zahlen noch einmal und blickte dann verwundert in die Runde.
»Es stimmt«, sagte Ju-Long. »Wir haben durch den Crash einen Gewinn von 4,1 Milliarden Dollar gemacht.«
»Und das Schönste ist«, sagte van der Zyl. »Das macht nur 0,4 Prozent der Volatilität des Gesamtmarktes aus. Kein Mensch weiß Bescheid, nur wir.«
»Gott im Himmel.« Quarry überschlug schnell im Kopf, wie viel davon bei ihm hängen blieb. »Das heißt, VIXAL hat alle Trades durchgezogen, bevor Alex ihn zerstört hat.«
Ein paar Sekunden lang herrschte Stille, dann sagte Ju-Long mit ruhiger Stimme: »Er hat ihn nicht zerstört. Er handelt weiter.«
»Was?«
» VIXAL handelt weiter.«
»Aber das kann nicht sein. Ich habe selbst gesehen, wie die Halle mit der gesamten Hardware bis auf den Grund abgebrannt ist.«
»Dann muss es irgendwo eine Hardware geben, von der wir nichts wissen. Ein Wunder, ich habe keine Erklärung dafür. Haben Sie schon mal ins Intranet geschaut?«
Quarry sah in die Gesichter der Quants. Sie kamen ihm ausdruckslos vor und leuchteten gleichzeitig, als wären sie Mitglieder irgendeiner Sekte. Es war unheimlich. Einige nickte ihm aufmunternd zu. Er schaute zu einem der Monitore und las den Text auf dem Bildschirmschoner.
DAS UNTERNEHMEN DER ZUKUNFT KENNT KEINE MITARBEITER
DAS UNTERNEHMEN DER ZUKUNFT KENNT KEINE MANAGER
DAS UNTERNEHMEN DER ZUKUNFT IST EIN DIGITALES WESEN
DAS UNTERNEHMEN DER ZUKUNFT LEBT
In seinem Büro schrieb Quarry eine E-Mail an seine Investoren.
An: Etienne & Clarisse Mussard, Elmira Gulzhan & François de Gombart-Tonnelle, Ezra Klein, Bill Easterbrook, Amschel Herxheimer, Iain Mould, Mieczys ł aw Ł ukasinski, Liwei Xu, Qi Zhang
Von: Hugo Quarry
Betreff: Alex
Meine lieben Freunde,
wenn Sie diese Zeilen lesen, haben Sie wahrscheinlich schon von der tragischen Geschichte
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