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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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zusammen und steckte sie in die Jackentasche.
    Neben dem Labortisch stand auf zwei Holzböcken eine ihrer Arbeiten: das 3-D-Bild eines Fötus, das aus etwa zwanzig auf sehr klare Glasplatten gezeichneten Schnittbildern bestand. Verglichen mit dem Körper, war der Kopf unverhältnismäßig groß, die spindeldürren Beine waren nach oben gebogen und steckten unter dem Kopf. Von der Seite betrachtet, vermittelte das Bild einen Eindruck von Tiefe, aber wenn man es von vorn anschaute, verlor sich dieser Eindruck und verschwand dann völlig. Er konnte nicht sagen, ob das Bild schon fertig war oder nicht. Er musste zugeben, dass eine gewisse Kraft von ihm ausging, aber bei sich zu Hause hätte er es nicht aufgehängt. Es sah ihm zu sehr nach einem versteinerten, in einem Aquarium schwebenden Reptil aus. Seine Frau würde es sicher abstoßend finden.
    Eine Tür führte in den Garten. Sie war geschlossen und verriegelt. Einen Schlüssel konnte er nirgends entdecken. Hinter dem dicken Glas tänzelten die Lichter Genfs über den See. Am Quai du Mont-Blanc war die Bewegung eines einsamen Scheinwerferpaars zu erkennen.
    Leclerc verließ den Wintergarten. Im Durchgang befanden sich zwei weitere Türen. Hinter einer der beiden verbarg sich eine Toilette mit einem großen altmodischen Wasserklosett. Leclerc nutzte die Gelegenheit. Hinter der anderen befand sich ein Abstellraum voller Gerümpel, der aus Hoffmanns letztem Haus zu stammen schien: verschnürte Teppichrollen, eine Brotbackmaschine, Liegestühle, ein Krocketspiel und, im hintersten Eck und in tadellosem Zustand, ein Kinderbettchen, ein Wickeltisch und ein aufziehbares Mobile mit Sternen und Monden.

Drei
    Verdacht, das Kind der Gefahr, drückt sich äusserst characteristisch bei vielen wilden Thieren aus.
    Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen , 1 8 7 1
    Laut den später veröffentlichten Aufzeichnungen des Genfer Rettungsdienstes gab der Krankenwagen per Funk durch, dass er Hoffmanns Anwesen um 5:22 Uhr verlassen habe. Zu dieser Stunde dauerte die Fahrt durch die leere Genfer Innenstadt bis zum Krankenhaus nur fünf Minuten.
    Auch im Krankenwagen widersetzte sich Hoffmann den Vorschriften. Er legte sich nicht hin, sondern saß aufrecht auf der Trage und brütete störrisch vor sich hin. Er war ein hochintelligenter, reicher Mann, der es gewohnt war, dass man ihm respektvoll zuhörte. Doch plötzlich musste er sich damit abfinden, in ein ärmeres, weniger begünstigtes Land deportiert zu werden: in das Königreich der Kranken, in dem jeder ein Bürger zweiter Klasse war. Die Erinnerung an Gabrielles und Leclercs Blicke, als er ihnen The Expression of the Emotions in Man and Animals gezeigt hatte, ärgerte ihn – als wäre die offensichtliche Verbindung zwischen dem Buch und dem Überfall die Ausgeburt eines fiebrigen, beschädigten Gehirns. Er hatte das Buch mitgenommen. Es lag auf seinen Knien. Ruhelos klopfte er mit dem Finger darauf.
    Als der Krankenwagen in die Straße einbog, streckte die Sanitäterin den Arm aus, um ihn zu stützen. Hoffmann schaute sie ärgerlich an. Er hatte kein Vertrauen in die Genfer Polizei oder in staatliche Behörden ganz allgemein. Er hatte überhaupt nur wenig Vertrauen in irgendwen außer ihn selbst. Er suchte in den Taschen des Morgenmantels nach seinem Handy.
    Gabrielle, die ihm gegenüber neben der Sanitäterin saß, fragte: »Was hast du vor?«
    »Hugo anrufen.«
    Sie verdrehte die Augen. »Herrgott, Alex …«
    »Was ist? Er muss wissen, was passiert ist.« Während er es klingeln hörte, beugte er sich vor und nahm besänftigend ihre Hand. »Mir geht es schon viel besser, glaub mir.«
    Schließlich hob Quarry ab. »Alex?« Seine sonst so lässige Stimme klang diesmal angespannt, nervös. Verhieß ein Anruf vor Morgengrauen jemals gute Nachrichten? »Was ist passiert?«
    »Tut mir leid, dass ich dich so früh störe, Hugo. Bei uns ist eingebrochen worden.«
    »O Gott. Ist alles in Ordnung mit euch?«
    »Gabrielle ist okay, ich habe einen Schlag auf den Kopf abbekommen. Wir sind gerade auf dem Weg ins Krankenhaus.«
    »In welches?«
    »Uniklinik, nehme ich an.« Hoffmann schaute Gabrielle an, die daraufhin nickte. »Ja, Uniklinik.«
    »Ich bin schon unterwegs.«
    Zwei Minuten später fuhr der Krankenwagen die Zufahrtsstraße zum großen Universitätsspital hinauf. Durch die getönten Scheiben konnte Hoffmann einen kurzen Blick auf das riesige Gebäude werfen – zehn hell erleuchtete Stockwerke, die in der Dunkelheit wie ein

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