Angst
großer internationaler Flughafen strahlten. Dann verschwanden die Lichter, als hätte irgendjemand einen Vorhang herunterge zogen. Der Krankenwagen tauchte in eine sanft geschwungene unterirdische Passage ein und hielt dann an. Der Motor wurde abgestellt, und es herrschte Stille. Gabrielle lächelte ihm beruhigend zu, und Hoffmann dachte: »Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!« Die Hecktüren schwangen auf, und er blickte in eine makellos saubere Tiefgarage. Die weit entfernte Stimme eines Mannes hallte laut von den Betonwänden wider.
Diesmal erhob Hoffmann keinen Einspruch, als man ihm sagte, er solle sich hinlegen: Er hatte sich der Maschinerie ergeben, jetzt musste er sich deren Abläufen unterordnen. Er legte sich hin, die Trage wurde abgesenkt. Er fühlte sich entsetzlich hilflos, als er unter Neonröhren durch geheimnisvolle fabrikartige Korridore bis zur Notaufnahme gerollt wurde, in der man ihn kurz abstellte. Der begleitende Gendarm übergab seine Papiere. Hoffmann sah, wie seine Daten registriert wurden, wandte auf seinem Kissen den Kopf und blickte in einen Raum voller Menschen. Betrunkene und Süchtige, die nicht darauf achteten, was auf dem Bildschirm des Fernsehers an der Wand zu sehen war: japanische Börsenmakler, die in Mobiltelefone sprachen und in deren Gesicht sich Entsetzen und Verzweiflung spiegelte. Bevor Hoffmann herausfinden konnte, worum es da ging, wurde er schon durch einen kurzen Gang in eine leere Nische geschoben.
Gabrielle setzte sich auf einen Plastikstuhl, nahm ihre Puderdose heraus und zog mit schnellen, nervösen Bewegungen ihre Lippen nach. Hoffmann betrachtete sie wie eine Fremde. Sie erschien ihm mysteriös, akkurat und verschlossen, wie eine Katze, die ihr Gesicht putzte. Genau das hatte sie auch getan, als er sie auf einer Party in Saint-Genis-Pouilly zum ersten Mal gesehen hatte. Ein junger türkischer Arzt mit abgespanntem Gesicht trat mit einem Klemmbrett in der Hand an die Trage. Das Plastikschild an seinem weißen Kittel wies ihn als Dr. Muhammet Çelik aus. Er warf einen Blick auf Hoffmanns Krankenblatt. Dann leuchtete er ihm in die Augen, schlug mit einem kleinen Hammer auf sein Knie, fragte ihn nach dem Namen des amerikanischen Präsidenten und forderte ihn auf, rückwärts von hundert bis achtzig zu zählen.
Hoffmann beantwortete alles ohne Mühe. Der Arzt nickte zufrieden und streifte sich ein Paar Operationshandschuhe über. Er nahm Hoffmann den proviso rischen Verband ab, strich die Haare auseinander und in spizierte die Wunde. Mit sanftem Druck tastete er den Kopf ab. Hoffmann kam sich vor, als würde er auf Läuse untersucht. Währenddessen unterhielt sich der Arzt mit Gabrielle, als wäre Hoffmann gar nicht vorhanden.
»Er hat viel Blut verloren«, sagte Gabrielle.
»Kopfwunden bluten immer stark. Aber ein paar Stiche werden wohl reichen.«
»Ist die Wunde tief?«
»Nein, nicht besonders, aber die Schwellung ist ziemlich groß. Da, sehen Sie? War ein stumpfer Gegenstand, oder?«
»Ein Feuerlöscher.«
»Okay, ich schreibe das eben auf. Dann müssen wir noch eine Kopf- CT machen.«
Çelik beugte sich zu Hoffmanns Gesicht hinunter. Er lächelte, öffnete die Augen sehr weit und sprach äußerst langsam. »Also, Monsieur Hoffmann. Die Wunde werde ich später nähen. Jetzt bringen wir Sie erst mal nach unten und machen ein paar Bilder vom Innern Ihres Kopfes. Das erledigt eine Maschine, die wir CT -Scanner nennen, ein Computertomograf. Wissen Sie, was das ist, Monsieur Hoffmann?«
»Die Computertomografie erstellt mittels eines rotierenden Detektors und einer Röntgenstrahlenquelle Quer schnittsbilder. Technologie aus den Siebzigern, nichts Weltbewegendes. Und noch was, wenn ich darum bitten dürfte … nicht Monsieur Hoffmann, sondern Doktor Hoffmann.«
Auf dem Weg zum Lift sagte Gabrielle: »Es gab keinen Grund, so grob zu werden. Er wollte dir nur helfen.«
»Er hat mich behandelt wie ein Kind.«
»Dann hör auf, dich wie eins zu benehmen. Hier, halt das.« Sie ließ die Tasche mit seiner Wäsche auf seinen Schoß fallen und ging voraus, um den Aufzug zu holen.
Gabrielle kannte offensichtlich den Weg in die Röntgenabteilung, was Hoffmann auf rätselhafte Weise ärgerte. Die Angestellten des Krankenhauses hatten ihr in den letzten Jahren bei ihrer künstlerischen Arbeit geholfen, hatten ihr Zugang zu den Computertomografen verschafft, wenn diese nicht benutzt wurden, und waren nach Schichtende noch geblieben, um die Bilder zu machen,
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