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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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einem anderen Leben vorkam.

    Quarry und Gabrielle setzten sich in den Warteraum vor der Notaufnahme, während Hoffmann Dr. Çelik folgte, um sich die Wunde nähen zu lassen. Man verabreichte ihm ein lokales Betäubungsmittel – mit einer Sprit ze, deren Stich ihn vor Schmerz kurz aufstöhnen ließ – und rasierte ihm dann mit einem Einwegrasierer aus Plastik rund um die Wunde einen schmalen Streifen Haare ab. Hinterher zückte Dr. Çelik einen kleinen Spiegel, da mit Hoffmann sein Werk begutachten konnte – wie ein Friseur, der von seinem Kunden gelobt werden wollte. Die Platzwunde war etwa fünf Zentimeter lang. Genäht glich sie einem verzerrten Mund, die rasierten Streifen sahen aus wie dicke weiße Lippen. Sie schienen Hoffmann anzüglich anzugrinsen.
    »Wenn das Betäubungsmittel nachlässt, wird es wehtun«, sagte Çelik heiter. »Nehmen Sie dann eine Schmerztablette.« Er steckte den Spiegel wieder weg, und das Grinsen verschwand.
    »Kommt kein neuer Verband drauf?«
    »Nein, offen heilt es schneller.«
    »Gut. Dann kann ich ja jetzt gehen.«
    Çelik zuckte die Achseln. »Das ist Ihr gutes Recht. Aber erst unterschreiben Sie mir das Formular.«
    Hoffmann unterschrieb den kleinen Zettel: »Hiermit erkläre ich, dass ich das Universätsspital wider ärztlichen Rat verlasse, dass ich über die Risiken informiert wurde und dass ich die volle Verantwortung für mein Handeln übernehme.« Dann nahm er seine Tasche und folgte Çelik zu einer kleinen Duschkabine. Der türkische Arzt schaltete das Licht ein, und als er sich umdrehte, murmelte er kaum hörbar »Arschloch« – jedenfalls glaubte Hoffmann, das gehört zu haben. Bevor er reagieren konnte, hatte Çelik die Tür schon geschlossen.
    Er war zum ersten Mal allein, seit er aus der Bewusstlosigkeit erwacht war, und einen Augenblick lang genoss er es. Dann zog er seinen Morgenmantel und den Pyjama aus. An der Wand gegenüber hing ein Spiegel, und er hielt kurz inne, um unter dem gnadenlosen Licht der Neonröhre sein Spiegelbild zu begutachten: die bleiche Haut, den schlaffen Bauch, die Brüste, die einen Hauch voller waren als früher und wie die eines pubertierenden Mädchens aussahen. Er entdeckte ein paar graue Haare auf der Brust. Über seine linke Hüfte zog sich ein langer, schwarzer Bluterguss. Er drehte sich zur Seite, fuhr mit den Fingern über die abgeschürfte, dunkle Haut und umfasste kurz seinen Penis. Keine Reaktion. Er fragte sich, ob man von einem Schlag auf den Kopf impotent werden konnte. Als er nach unten schaute und seine Füße auf den kalten Bodenfliesen betrachtete, kamen sie ihm unnatürlich gespreizt und geädert vor. Das war das Alter, dachte er schockiert, das war die Zukunft: Er sah aus wie das Porträt von Lucian Freud, das Gabrielle ihm schenken wollte. Er bückte sich nach der Tasche, und für einen Augenblick verschwammen die Konturen des Raums, und er schwankte leicht. Er setzte sich auf den weißen Plastikstuhl und senkte den Kopf zwischen die Knie.
    Als er sich wieder erholt hatte, zog er sich langsam und bedächtig an – Boxershorts, T-Shirt, Socken, Jeans, schlichtes weißes Hemd mit langen Ärmeln, Sportsakko. Mit jedem Kleidungsstück kam er mehr zu Kräften, fühlte er sich ein bisschen weniger verletzlich. Gabrielle hatte seine Brieftasche in die Innentasche der Jacke gesteckt. Er schaute hinein. Dreitausend Schweizer Franken in neuen Scheinen. Er setzte sich und zog seine Desert-Boots an. Er stand wieder auf, schaute in den Spiegel und fühlte sich zufriedenstellend getarnt. Die Kleidung verriet nicht das Geringste über ihn, genau so wie er es mochte. Heutzutage ging ein Manager eines zehn Milliarden Dollar schweren Hedgefonds als der Bursche vom Paketdienst durch. In dieser Hinsicht, wenn auch nur in dieser, war Geld demokratisch geworden – großes Geld, souveränes Geld, Geld, das Protzerei nicht nötig hatte.
    Es klopfte an der Tür, und er hörte die Stimme von Dr. Dufort, der Radiologin. »Monsieur Hoffmann? Alles in Ordnung, Monsieur Hoffmann?«
    »Ja, danke«, sagte er laut. »Schon viel besser.«
    »Ich habe jetzt Dienstschluss. Ich möchte Ihnen noch etwas geben.« Er öffnete die Tür. Sie hatte einen Regenmantel und Gummistiefel angezogen und hielt einen Schirm in der Hand. »Hier. Das sind die Ergebnisse Ihrer Kopf- CT .« Sie drückte ihm eine CD in einer durchsichtigen Plastikhülle in die Hand. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Gehen Sie damit so bald wie möglich zu Ihrem Arzt.«
    »Das werde

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