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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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»Verzeihung, Monsieur«, sagte er im Flüsterton zu Hoffmann. »Nichts für ungut, aber mein Name ist Claude.«
    »Also dann, meine Lieben«, sagte Quarry, wobei er gleichzeitig die Knie der links und rechts neben ihm sitzenden Hoffmanns drückte. »Wohin jetzt?«
    »Ins Büro«, sagte Hoffmann im selben Augenblick, in dem Gabrielle »nach Hause« sagte.
    »Ins Büro«, wiederholte Hoffmann. »Und dann bringen Sie meine Frau nach Hause.«
    Auf den Zufahrtsstraßen in die Innenstadt setzte gerade der Berufsverkehr ein. Als der Mercedes in den Boulevard de la Cluse einbog, verfiel Hoffmann in sein gewohnheitsmäßiges Schweigen. Er fragte sich, ob die anderen seinen Lapsus bemerkt hatten. Was um Himmels willen hatte ihn dazu getrieben? Normalerweise kümmerte er sich nicht im Geringsten darum, wer sein Fahrer war, ganz zu schweigen davon, dass er mit ihm sprach. Autofahrten verbrachte er in Gesellschaft seines iPads. Er suchte im Netz nach technischen Forschungsarbeiten, und wenn ihm nach leichterer Kost war, dann las er die digitale Ausgabe der Financial Times oder des Wall Street Journal . Selten schaute er auch nur aus dem Fenster. Jetzt hatte er nichts anderes zu tun, und das war ein seltsames Gefühl. Zum ersten Mal seit Jahren sah er wieder Menschen, die an einer Bushaltestelle standen und einen erschöpften Eindruck auf ihn machten, obwohl der Tag noch gar nicht richtig begonnen hatte. Ihm fiel auf, wie viele Marokkaner und Algerier an den Straßenecken herumhingen, was es damals, als er in die Schweiz übergesiedelt war, noch nicht gegeben hatte. Andererseits, dachte er, was war so besonders daran? Ihre An wesenheit in Genf war genau wie seine oder die von Quarry eine Folge der Globalisierung.
    Der Fahrer bremste, um nach links abzubiegen. Eine Glocke klingelte, und neben der Limousine tauchte eine Trambahn auf. Hoffmann schaute geistesabwesend zu den Gesichtern in den erleuchteten Fenstern hoch. Einen Augenblick lang schienen sie regungslos im morgend lichen Halbdunkel zu schweben, dann glitten sie stumm an ihm vorüber. Manche blickten mit leeren Augen geradeaus, andere dösten, einer las in der Tribune de Genève . Als das letzte Fenster an ihm vorüberglitt, sah er das kantige Profil eines Mannes in den Fünfzigern mit länglichem Kopf und zotteligen, grauen, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren. Kurz verharrte der Kopf neben Hoffmann, dann beschleunigte die Trambahn, und in der nächsten Sekunde war die Erscheinung in einem übel riechenden Sprühregen aus blassblauen Funken verschwunden.
    Das alles war so schnell geschehen, dass Hoffmann sich nicht sicher war, was er gesehen hatte. Hatte er geträumt? Quarry musste gespürt haben, dass er zusammengezuckt war, oder er hatte gehört, dass Hoffmann scharf eingeatmet hatte. Jedenfalls schaute er ihn an und fragte: »Alles in Ordnung, alter Junge?« Hoffmann war so erschrocken, dass er kein Wort herausbrachte.
    »Was ist los?« Gabrielle reckte den Kopf nach hinten und schaute hinter Quarrys Rücken zu ihrem Mann hinüber.
    »Nichts.« Hoffmann hatte sich wieder gefangen. »Anscheinend lässt die Wirkung des Betäubungsmittels nach.« Er hielt sich schützend die Hand über die Augen und sah aus dem Fenster. »Machen Sie bitte das Radio an.«
    Die Stimme einer Nachrichtensprecherin erfüllte das Innere des Wagens. Sie klang irritierend fröhlich, als wüsste ihre Besitzerin nicht, was sie da vorlas. Sie hätte noch das Armageddon mit heiterer Stimme verkündet.
    Trotz des Todes dreier Bankangestellter in Athen bekräftigte die griechische Regierung gestern Abend, ihre Sparmaß nahmen fortsetzen zu wollen. Die drei Männer starben, nach dem gegen die Ausgabenkürzungen protestierende Demonstranten die Bank mit Benzinbomben angegriffen hatten …
    Hoffmann versuchte, sich darüber klar zu werden, ob er halluzinierte oder nicht. Wenn nicht, musste er sofort Leclerc anrufen und den Fahrer anweisen, der Trambahn zu folgen, bis die Polizei eintraf. Was aber, wenn er fantasierte? Angesichts der Demütigungen, die in diesem Fall folgen würden, wand er sich innerlich. Schlimmer, er würde nicht mehr auf die Signale seines Gehirns vertrauen können. Er konnte alles ertragen, aber nicht, wahnsinnig zu werden. Eher wollte er sterben, als eine derartige Erniedrigung ein weiteres Mal auszuhalten. Also sagte er nichts und wandte das Gesicht von den anderen ab, um die Panik in seinen Augen vor ihnen zu verbergen. Währenddessen plapperte die Stimme im Radio

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