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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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noch ein Glas?«
    »Nein.« Er legte die Finger auf den Mund und unterdrückte einen Rülpser. »Ich hab noch zu tun, danke.« Er verbeugte sich leicht, alte Schule. »Es war wirklich höchst interessant, einen Blick auf Ihre Arbeit zu werfen.« Er hielt inne und schaute wieder den hingerichteten Mörder in seinem Glaskasten an. »Was hat er getan, der arme Bursche?«
    »Er hat einen alten Mann umgebracht, der ihn dabei überrascht hat, wie er eine Heizdecke stehlen wollte. Er hat auf ihn geschossen und dann mit einem Messer auf ihn eingestochen. Er hat zwölf Jahre im Todestrakt gesessen. Nachdem sein letztes Gnadengesuch abgelehnt worden war, hat man ihn mit einer Giftspritze hingerichtet.«
    »Barbarisch«, murmelte Leclerc, wobei Gabrielle sich nicht ganz sicher war, was er damit meinte – das Verbrechen, die Strafe oder das, was sie daraus gemacht hatte.

    Hinterher saß Leclerc in seinem Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er hatte sein Notizbuch auf den Knien und schrieb alles auf, woran er sich aus dem Gespräch mit Gabrielle erinnern konnte. Durch das Fenster der Galerie konnte er die Menschen sehen, die um Gabrielle herumwuselten. Gelegentlich verlieh ein aufleuchtender Kamerablitz ihrer kleinen, dunklen Gestalt einen Hauch Glamour. Er mochte sie, was er von ihrer Ausstellung nicht behaupten konnte. Dreitausend Franken für ein paar Glasplatten, auf die ein toter Pferdeschädel gekritzelt war. Er blies die Backen auf. Großer Gott, für die Hälfte konnte man sich ein richtiges Tier kaufen – das ganze Tier, wohlgemerkt, nicht nur den Kopf.
    Er beendete seine Aufzeichnungen und blätterte die Notizen noch einmal wahllos durch, als könnte er auf diese Weise, durch freie Assoziation, irgendeinen Hinweis finden, der ihm bis jetzt entgangen war. Sein Freund am CERN hatte einen Blick in Hoffmanns Personalakte geworfen und ihm die wesentlichen Punkte genannt, die Leclerc sich notiert hatte: als einer von den wenigen Amerikanern, die damals dem Projekt zugeteilt worden waren, war Hoffmann im Alter von 27 Jahren zu dem Team gestoßen, das den Large Electron-Positron Collider betrieben hatte; sein Abteilungsleiter hatte ihn für einen der brillantesten Mathematiker vor Ort gehalten; von der Produktion des neuen Teilchenbeschleunigers, des Large Hadron Collider, war er zur Entwicklung von Software und Computersystemen gewechselt, die die Milliarden von Daten analysierten, die die Experimente hervorbrachten; andauernde Arbeitsüberlastung hatte zu einem derart sprunghaften Verhalten geführt, dass seine Kollegen sich über ihn beschwert hatten und er von der Sicherheitsabteilung aufgefordert worden war, das Forschungszentrum zu verlassen; nach einer langen Fehlzeit wegen Krankheit war sein Vertrag schließlich aufgelöst worden.
    Leclerc war sich ziemlich sicher, dass Gabrielle Hoffmann vom Nervenzusammenbruch ihres Mannes nichts gewusst hatte. Eine weitere ihrer sympathischen Eigenschaften war die, dass sie eine schlechte Lügnerin war. Hoffmann war anscheinend allen ein Rätsel – seinen Wissenschaftlerkollegen, der Finanzwelt, sogar seiner Frau. Er machte einen Kreis um den Namen Hugo Quarry.
    Die Geräusche eines kraftvollen Motors unterbrachen seine Gedankengänge. Er schaute über die Straße und sah, wie ein dunkelgrauer Mercedes mit eingeschalteten Scheinwerfern vor der Galerie vorfuhr. Der Wagen war noch nicht ganz zum Stillstand gekommen, da sprang auf der Beifahrerseite eine bullige Gestalt auf den Gehweg, überprüfte mit einem schnellen Blick nach vorn und hinten die Straße und öffnete dann die Hintertür. Die Menschen, die mit ihren Gläsern und Zigaretten vor der Galerie standen, schauten sich träge um, wandten sich aber sofort wieder gleichgültig ab, während der unbekannte Neuankömmling schnell durch die Tür ins Innere geleitet wurde.

Neun
    Selbst wenn wir ganz allein sind, wie oft denken wir mit Vergnügen oder mit Kummer daran, was Andere von uns denken – an deren vermeintliche Billigung oder Misbilligung; und dies Alles ist Folge der Sympathie, eines Fundamentalelements der socialen Instincte. Ein Mensch, welcher keine Spur derartiger Instincte besässe, würde ein unnatürliches Monstrum sein.
    Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen , 1 8 7 1
    Es hatte einige Mühen gekostet zu verhindern, dass Hoffmann zu einer öffentlichen Person wurde. In den frühen Tagen von Hoffmann Investment Technologies, als die Firma erst über etwa zwei Milliarden Dollar an verwaltetem

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