Angst
Vermögen verfügte, hatte er die Partner der ältesten Schweizer Agentur für Öffentlichkeitsarbeit zum Frühstück ins Hotel Président Wilson eingeladen und ihnen ein Geschäft vorgeschlagen: eine jährliche Pauschale von 200 000 Franken dafür, dass sein Name nie in der Presse auftauchte. Er hatte nur eine einzige Bedingung: Für jede Erwähnung seines Namens würde er ihnen 10 000 Franken abziehen, und wenn er öfter als zwanzigmal erwähnt würde, müssten sie anfangen zu zahlen. Nach ausführlichen Diskussionen akzeptierte die Agentur und tat für Hoffmann das Gegenteil dessen, was sie ihren Kunden sonst empfahl. Hoffmann trat nie öffentlich als Spender für Wohltätigkeitsorganisationen auf, tauchte nie bei Galadiners oder Preisverleihungen der Industrie auf, pflegte keine Kontak te zu Journalisten, erschien in keiner Reichenrangliste einer Zeitung, unterstützte keine politische Partei, stiftete für keine Bildungseinrichtung und hielt keine Reden oder Vorträge. Meldete sich gelegentlich ein neugieriger Journalist, dann wurde er an die Prime Broker des Hedgefonds verwiesen, die sich das Verdienst für ihren Erfolg immer gern ans eigene Revers hefteten, oder – in äußerst hartnäckigen Fällen – an Quarry. Die Agentur hatte immer ihre volle Pauschale und Hoffmann seine Anonymität behalten.
Deshalb war der Besuch der ersten Ausstellung seiner Frau eine ungewöhnliche Erfahrung für Hoffmann, ja sogar eine ausgemachte Qual. Von der Sekunde an, als er aus dem Wagen stieg, über den bevölkerten Gehweg schritt und die lärmige Galerie betrat, hätte er am liebsten kehrtgemacht und wäre wieder gegangen. Leute, von denen er ahnte, dass er sie schon einmal getroffen hatte, Freunde von Gabrielle, kamen auf ihn zu und sprachen mit ihm. Sein Gehirn konnte zwar Kopfrechenaufgaben bis zur fünften Dezimalstelle bewältigen, aber es konnte sich keine Gesichter merken. Als hätte sich seine Persönlichkeit als Ausgleich für seine Talente einseitig entwickelt. Zwar hörte er den üblichen Smalltalk und das sinnlose Geschwätz der anderen, aber irgendwie nahm er es nicht auf. Er war sich der Tatsache bewusst, dass seine gemurmelten Antworten unpassend oder gar ausgesprochen schräg waren. Als man ihm ein Glas Champagner anbot, nahm er lieber ein Wasser. Und genau in diesem Augenblick sah er Bob Walton, der auf der anderen Seite des Raumes stand und zu ihm herübersah.
Walton, ausgerechnet!
Bevor er sich davonstehlen konnte, drängelte sich sein früherer Kollege schon zielstrebig durch die Gästeschar. Er streckte die Hand aus und sagte: »Alex, lange nicht gesehen.«
»Bob.« Er schüttelte ihm kühl die Hand. »Ich glaube, das letzte Mal haben wir uns gesehen, als ich Ihnen einen Job angeboten habe und Sie mir gesagt haben, ich wäre der Teufel, der ihm die Seele stehlen wolle.«
»Ich glaube kaum, dass ich mich so ausgedrückt habe.«
»Nicht? Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie ziem lich deutlich zum Ausdruck gebracht, was Sie von Wissenschaftlern halten, die auf die dunkle Seite wechseln, um sich als Quants zu verkaufen.«
»Ach, tatsächlich? Nun, das tut mir leid.« Walton deutete mit dem Glas in der Hand auf die Gäste. »Jedenfalls freut es mich zu sehen, dass sich für Sie alles so gut entwickelt hat. Das meine ich ernst, Alex.«
Er sagte das mit einer solchen Herzlichkeit, dass Hoffmann seine Feindseligkeit bedauerte. Als er mit nichts als zwei Koffern und einem Englisch-Französisch-Wörterbuch von Princeton nach Genf gekommen war, hatte er keine Menschenseele gekannt. Walton war der Leiter seiner Abteilung am CERN gewesen, sie waren morgens in seinem Wagen zur Arbeit gefahren. Er und seine Frau hatten ihn unter seine Fittiche genommen. Sie hatten ihn sonntags zum Mittagessen eingeladen, hatten ihm bei der Wohnungssuche geholfen und hatten sogar versucht, ihm eine Freundin zu besorgen.
Hoffmann bemühte sich um einen freundlichen Ton. »Und, wie läuft die Suche nach dem göttlichen Teilchen?«
»Oh, wir pirschen uns langsam ran. Und bei Ihnen? Wie steht’s um den flüchtigen heiligen Gral des Autonomen Maschinellen Lernens?«
»Genauso. Wir pirschen uns ran.«
»Tatsächlich?« Walton hob überrascht die Augenbrauen. »Dann lassen Sie also nicht locker?«
»Natürlich nicht.«
»Donnerwetter, das nenne ich Mumm. Was ist mit Ihrem Kopf passiert?«
»Ach, nichts. Ein dummer Unfall.« Er schaute quer durch den Raum zu Gabrielle. »Entschuldigen Sie mich, ich glaube, ich sollte jetzt
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