Angst
mir gestern Abend zugestellt wurde, vermutlich in der Absicht, mich einzuschüchtern. Ich habe sie hier auf meinem Handy. Und ich glaube, dass eben dieses Konto, das vermutlich auf meinen Namen läuft, dazu benutzt wurde, um die Ausstellung meiner Frau zu sabotieren.«
»Sabotieren«, sagte Bertrand mit höhnischer Stimme. »Wir nennen das verkaufen.«
»Sie haben aber nicht nur ein oder zwei Stücke verkauft. Sie haben alles verkauft, auf einen Schlag. Ist das schon jemals vorgekommen?«
»Und?« Bertrand breitete theatralisch die Arme aus.
Leclerc schaute sich die beiden an und seufzte. »Monsieur Bertrand? Seien Sie so nett, und zeigen Sie mir die Kontonummer.«
»Das kann ich nicht. Warum sollte ich?«
»Weil ich Sie sonst wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen einsperren werde.«
»Das wagen Sie nicht.«
Leclerc starrte ihn an. Er mochte alt sein, aber mit den Bertrands dieser Welt wurde er noch im Schlaf fertig.
»Also gut, ich hab sie in meinem Büro«, brummelte Bertrand schließlich.
»Doktor Hoffmann … Dürfte ich jetzt um Ihr Handy bitten.«
Hoffmann hielt ihm das Display hin. »Das ist die Nachricht des Buchhändlers mit der Kontonummer.«
Leclerc nahm ihm das Handy ab. »Bleiben Sie bitte hier.« Er folgte Bertrand in ein kleines Büro hinter dem Ausstellungsraum. Das Zimmer war ein Durcheinander aus alten Katalogen, Stapeln von Bilderrahmen und Werkzeugen. Ein durchdringender Geruch von Kaffee und Klebstoff hing in der Luft. Auf dem wackeligen, zerkratzten Rollschreibtisch stand ein Computer. Daneben steckten auf einem Metallspieß ein Packen Briefe und Quittungen. Bertrand bewegte mit der Maus den Cursor über den Bildschirm und klickte. »Das ist die E-Mail von meiner Bank.« Beleidigt räumte er den Schreibtischstuhl. »Übrigens, die Drohung, mich festzunehmen, nehme ich Ihnen nicht ab. Ich kooperiere nur deshalb, weil ich mich als guter Schweizer Bürger dazu verpflichtet fühle.«
»Ihre Kooperation ist vermerkt, Monsieur«, sagte Leclerc. »Haben Sie vielen Dank.« Er setzte sich vor den Computer, schaute angestrengt auf den Schirm, hielt Hoffmanns Handy daneben und verglich mühsam die beiden Kontonummern. Sie bestanden aus einer identischen Mixtur aus Buchstaben und Ziffern. Der Name des Kontoinhabers lautete auf A. J. Hoffmann. Er zog sein Notizbuch aus der Tasche und schrieb die Zeichenfolge auf. »Und sonst haben Sie keine Nachricht erhalten?«
»Nein.«
In der Galerie gab Leclerc Hoffmann das Handy zurück. »Sie hatten recht. Die Nummern sind identisch. Was das allerdings mit dem Überfall auf Sie zu tun haben soll, ist mir schleierhaft.«
»Es gibt eine Verbindung«, sagte Hoffmann. »Das habe ich heute Morgen versucht, Ihnen zu erklären. Herrgott, in meiner Branche würden Sie keine fünf Minuten überleben. Sie würden nicht mal zur Tür reinkommen. Was hatten Sie eigentlich am CERN zu suchen und Fragen über mich zu stellen? Schnappen Sie lieber diesen Burschen, anstatt mir hinterherzuschnüffeln.«
Hoffmann sah abgespannt aus. Seine Augen waren rot und wund, als hätte er sie gerieben. Er hatte sich den ganzen Tag nicht rasiert. Mit den Bartstoppeln sah er aus wie ein Flüchtling.
»Ich werde die Kontonummer in unserer Abteilung für Finanzdelikte überprüfen lassen«, sagte Leclerc milde. »Zumindest was Bankkonten angeht, sind wir Schweizer ziemlich fit, und Identitätsdiebstahl ist strafbar. Wenn sich irgendetwas ergibt, lasse ich es Sie wissen. In der Zwischenzeit rate ich Ihnen, nach Hause zu fahren, Ihren Arzt zu rufen und viel zu schlafen.« Und biegen Sie das mit Ihrer Frau wieder gerade, wollte er noch sagen, aber das stand ihm nicht zu.
Zehn
Nun ist […] der Instinkt einer jeden Art nützlich für diese und, so viel wir wissen, niemals zum ausschliesslichen Nutzen andrer Arten vorhanden.
Charles Darwin
Die Entstehung der Arten , 1 8 5 9
Als Hoffmann auf dem Rücksitz des Mercedes saß, versuchte er, Gabrielle telefonisch zu erreichen, erwischte jedoch nur ihre Mailbox. Der Klang der vertrauten, fröhlichen Stimme schnürte ihm die Kehle zu. »Hi, hier ist Gabby, wagen Sie es ja nicht aufzulegen, bevor Sie eine Nachricht hinterlassen haben.«
Er hatte die furchtbare Ahnung, dass sie ihn unwiderruflich verlassen hatte. Selbst wenn sie sich wieder versöhnen könnten, würde sie nie wieder die Person sein, die sie bis zu diesem Tag gewesen war. Es war, als hörte er die Stimme einer Toten.
Das Piepen ertönte. Nach einer langen Pause, die sich
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