Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
wahrscheinlich gruselig anhören würde, wenn sie das Band abhörte, rang er sich schließlich zu einer Nachricht durch. »Ruf mich bitte zurück, okay? Wir müssen reden.« Er wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte. »Tja, das ist eigentlich alles. Also, bis dann.«
    Er unterbrach die Verbindung und starrte eine Zeit lang sein Handy an, als könnte er sie so dazu bringen zurückzurufen. Er fragte sich, ob er noch etwas hätte sagen sollen oder wie er sie sonst erreichen könnte. Er beugte sich zu dem Bodyguard vor. »Wissen Sie, ob Ihr Kollege an meiner Frau dran ist?«
    Paccard drehte sich halb zu ihm um, wobei er die Straße aus den Augenwinkeln im Blick behielt. »Er hat sie nicht mehr erwischt, Monsieur. Als er bei der Hausecke ankam, war sie schon verschwunden.«
    Hoffmann stöhnte auf. »Gibt’s in dieser gottverdammtem Stadt denn niemand, der eine simple Aufgabe erledigen kann, ohne Mist zu bauen?« Er ließ sich in den Sitz zurückfallen, verschränkte die Arme und schaute aus dem Fenster. Zumindest eines wusste er sicher: Er hatte Gabrielles Kunstobjekte nicht gekauft. Er hatte gar nicht die Möglichkeit dazu gehabt. Allerdings würde es ihm schwerfallen, sie davon zu überzeugen. Er hörte wieder ihre Stimme. Eine Milliarde Dollar? Über den Daumen? Weißt du, was? Vergiss es. Es ist vorbei.
    Auf der anderen Seite der blaugrauen Rhône sah er das Finanzviertel Genfs – BNP Paribas, Goldman Sachs, Barclays Private Wealth … Es nahm das Nordufer des breiten Flusses und einen Teil der Insel in der Mitte ein. Von Genf aus wurden eine Billion Dollar kontrolliert, von denen Hoffmann Investment Technologies ein kümmerliches Prozent verwaltete. Und von diesem einzigen Prozent betrug sein persönlicher Anteil ein Zehntel. Im Verhältnis gesehen … was regte sie sich dermaßen über eine Milliarde auf? Dollar, Euro, Franken – das waren die Einheiten, in denen er Erfolg oder Misserfolg seines Experiments maß. So wie er am CERN mit Tera-Elektronenvolt, Nanosekunden und Mikrojoule gearbeitet hatte. Zugegeben, es gab einen großen Unterschied zwischen dem CERN und seinem Hedgefonds, ein Problem, das er nie richtig in Angriff genommen oder gelöst hatte. Mit einer Nanosekunde oder einem Mikrojoule konnte man nichts kaufen, Geld hingegen fiel bei seinen Forschungen als eine Art von toxischem Abfallprodukt an. Manchmal hatte er das Gefühl, als würde es ihn Zentimeter um Zentimeter vergiften, so wie die Strahlung Marie Curie getötet hatte.
    Am Anfang hatte er das Geld ignoriert. Er hatte es entweder gleich wieder in die Firma gesteckt oder auf einem Konto geparkt. Aber er hasste den Gedanken, sich von seinem eigenen Glück erdrücken und zu einem exzentrischen Menschenverächter wie Etienne Mussard verbiegen zu lassen. Also eiferte er seit Kurzem Quarry nach und bemühte sich, es auszugeben. Das aber hatte ihn schnurstracks in die durchgestylte Villa in Cologny geführt, die vollgestopft war mit wertvollen Büchern und Antiquitäten, die er zwar nicht brauchte, die aber enorme Sicherheitsvorkehrungen erforderten: eine Art Pharaonengrabkammer für Lebende. Seine letzte Option war wohl, das Geld zu verschenken, was zumindest Gabrielle gutheißen würde. Aber auch Philanthropie konnte korrumpieren. Die verantwortungsvolle Verteilung von Hunderten von Millionen Dollar war ein Fulltime-Job. Gelegentlich schwelgte er in dem verrückten Gedanken, seine überschüssigen Profite in Papiergeld umzutauschen und rund um die Uhr zu verbrennen, so wie eine Raffinerie ihre Gasüberschüsse verbrannte – gelbblaue Flammen würden den nächtlichen Himmel über Genf erleuchten.
    Der Mercedes überquerte den Fluss.
    Der Gedanke, dass Gabrielle allein durch die Straßen lief, beunruhigte ihn. Ihr impulsives Wesen machte ihm Sorgen. Im Zorn war sie zu allem fähig. Sie konnte tagelang untertauchen, konnte zu ihrer Mutter nach England fliegen, konnte auf die unsinnigsten Gedanken kommen. Weißt du, was? Vergiss es. Es ist vorbei. Was meinte sie damit? Was war vorbei? Die Ausstellung? Ihre Karriere als Künstlerin? Ihr Gespräch? Ihre Ehe? Panik stieg in ihm auf. Ein Leben ohne sie wäre ein Vakuum, in dem er nicht würde überleben können. Er lehnte die Stirn an das kalte Glas des Seitenfensters, schaute hinunter in das trübe, undurchdringliche Wasser des Flusses und stellte sich für einen schwindelerregenden Augenblick vor, ins Nichts gesogen zu werden – wie ein Flugpassagier, der viele Kilometer hoch über dem Erdboden

Weitere Kostenlose Bücher