Angst
aus dem aufgeschlitzten Rumpf eines Jets gerissen wurde.
Sie bogen auf den Quai du Mont-Blanc ein. Die Stadt, gehauen aus dem gleichen grauen Fels wie der Jura in der Ferne, lag tief geduckt und trist an den Ufern des Sees. In nichts glich sie der animalisch vulgären Glas-und-Stahl-Euphorie Manhattans oder der Londoner City: Deren Wolkenkratzer würden in die Höhe wachsen und wieder einstürzen, Zeiten des Booms und der Pleiten würden kommen und gehen, aber das listige Genf hielt sich bedeckt und würde die Ewigkeit überdauern. Das schön gelegene Hotel Beau-Rivage, fast in der Mitte des breiten, von Bäumen gesäumten Boulevards, verkörperte diese Werte in Ziegel und Stein. Seit 1898, als die Kaiserin von Österreich-Ungarn nach dem Lunch das Hotel verlassen hatte und von einem italienischen Anarchisten erstochen worden war, hatte sich hier nichts Aufregendes mehr ereignet. Ein Umstand ihrer Ermordung war Hoffmann immer im Gedächtnis geblieben: Erst nachdem sie ihr Korsett abgelegt hatte, hatte sie die tödliche Wunde bemerkt. Sogar Attentate gingen in Genf diskret vonstatten.
Der Mercedes hielt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Paccard stieg aus, stoppte mit gebieterisch erhobener Hand den Verkehr und geleitete Hoffmann über den Zebrastreifen und dann die Stufen hinauf in die pseudohabsburgische Grandezza der Hotellobby. Der Concierge zuckte angesichts Hoffmanns überraschenden Erscheinens nicht einmal mit der Wimper, sondern geleitete le cher docteur lächelnd die Treppe hinauf in den Speisesaal.
Jenseits der hohen Tür herrschte die Atmosphäre eines Salons des 19. Jahrhunderts: Gemälde, Antiquitäten, vergoldete Stühle, golddurchwirkte Vorhänge – die Kaiserin hätte sich wie zu Hause gefühlt. Quarry hatte einen langen Tisch vor den Balkontüren reservieren lassen und saß mit dem Rücken zum See, um den Eingang im Auge behalten zu können. Als er Hoffmann zur Tür hereinkommen sah, stand er schnell auf und warf seine Serviette, die er sich nach britischer Herrenclubmanier in den Kragen gesteckt hatte, auf den Stuhl. Er nahm seinen Partner etwa auf halbem Weg zum Tisch in Empfang.
»Professor«, sagte er aufgekratzt und so laut, dass jeder es mitbekommen konnte. Er zog Hoffmann etwas zur Seite und sagte leise: »Herrgott noch mal, wo zum Henker hast du gesteckt?«
Hoffmann wollte ihm antworten, aber Quarry ließ ihn gar nicht zu Wort kommen. Seine Augen leuchteten, er brannte darauf, den Deal endlich unter Dach und Fach zu bringen.
»Na ja, was soll’s, spielt keine Rolle. Hauptsache ist, dass es ganz so aussieht, dass sie anbeißen – die meisten jedenfalls. Ich hab da so das Gefühl, dass da eher eine Milliarde als sieben fünfzig drin sind. Von dir, Maestro, brauche ich jetzt nur noch eins: eine Stunde technischer Balsam, der sie in Sicherheit wiegt, okay? Und bitte mit einem Minimum an Aggressivität, wenn du das hinkriegst.« Er deutete zum Tisch. »Komm, setz dich zu uns. Die grenouilles de Vallorbe hast du verpasst, aber das filet mignon de veau ist sicher auch göttlich.«
Hoffmann rührte sich nicht. »Hast du die Sachen in Gabrielles Ausstellung gekauft?«, fragte er misstrauisch.
»Was?« Quarry blieb stehen, drehte sich um und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Er war verblüfft.
»Irgendwer hat alle ihre Arbeiten aufgekauft. Und dafür hat er ein Konto benutzt, das auf meinen Namen läuft. Sie meint, das könntest du gewesen sein.«
»Ich habe die Sachen nicht mal gesehen. Und warum sollte ich ein Konto auf deinen Namen haben? Außerdem ist das illegal.« Er schaute kurz über die Schulter zu ihren Kunden und wandte sich dann wieder Hoffmann zu. Er war völlig perplex. »Weißt du, was? Lass uns später darüber reden, okay?«
»Du hast sie also nicht gekauft. Sicher? Keiner von deinen Scherzen? Sag’s mir einfach, okay?«
»Das ist nicht meine Art von Humor, alter Junge. Tut mir leid.«
»Tja, genau das habe ich auch gedacht.« Hoffmann lenkte seinen Blick ruckartig durch den Raum. Er schaute zu den Kunden, den Kellnern, den beiden Ausgängen, den hohen Fenstern und dem Balkon dahinter. »Jemand ist hinter mir her, Hugo. Jemand, der mich ganz langsam fertigmachen will. Das macht mir wirklich Sorgen, Hugo.«
»Ja nun, das sehe ich, Alexi. Wie geht’s deinem Kopf?«
Hoffmann griff sich an den Kopf und fuhr mit den Fingern über die harten, fremdartigen Höcker der Naht. Er hatte pochende Kopfschmerzen. »Tut wieder weh«, sagte er.
»Okay«, sagte
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