Angst
Zentimeter weit offen. Er quetschte seine beiden Hände durch den Spalt, packte fest zu und drückte. Ein lautes Knacken, und die Tür sprang auf.
Das Zimmer lag im Dunkeln. Nur unter dem nicht ganz geschlossenen Fensterladen drang ein schmaler Streifen blassgraues Tageslicht ins Innere. Vorsichtig schob er einen Fuß nach dem anderen über den Teppich, bis er das Fenster erreichte. Er tastete die Wand neben der Gardine ab, fand den Schalter und drückte. Knirschend bewegte sich der Fensterladen nach oben. Durch das Gestänge der Feuertreppe blickte er auf die Rückseite einer etwa fünfzig Meter entfernten Häuserreihe. Sie war durch eine Ziegelmauer und Innenhöfe voller Mülltonnen, Unkraut und Abfall vom Hotel getrennt. Hoffmann sah sich im Zimmer um. Das ungemachte Bett stand auf Rollen, die graue, zerschlissene Bettdecke hing bis auf den rot-schwarz gemusterten Teppichboden herunter. Auf einer kleinen Kommode lag ein Rucksack, daneben stand ein Holzstuhl mit einem Sitzpolster aus abgewetztem braunem Leder. Der Heizkörper unter dem Fenster war glühend heiß. Es roch nach kaltem Zigarettenrauch, Männerschweiß und billiger Seife. Die Tapete rund um die nackten Glühbirnen der Wandleuch ten war versengt. Vor der kleinen Badewanne in dem winzi gen Bad hing ein durchsichtiger Plastikvorhang. Die tropfenden Wasserhähne hatten das Waschbecken mit grünlich schwarzen Streifen verunziert. Die gleichen Streifen waren auch in der Kloschüssel zu sehen. Auf einer hölzernen Ablage stand ein Wasserglas mit einer Zahnbürste und einem blauen Einwegrasierer aus Plastik.
Hoffmann ging zurück ins Schlafzimmer. Er nahm den Rucksack von der Kommode und kippte den Inhalt aufs Bett. Unter einem Haufen Schmutzwäsche – kariertes Hemd, T-Shirts, Unterwäsche, Socken – kamen eine alte Zeiss-Kamera mit lichtstarkem Objektiv und ein Laptop zum Vorschein. Der Laptop war noch warm und befand sich im Stand-by-Modus.
Hoffmann ging zu der halb offenen Zimmertür. Das Holz rund um das Schloss war gesplittert, aber er konnte es wieder weit genug hineinzwängen, dass es hielt. Er schob die Tür vorsichtig zu. Wenn jemand von außen dagegendrückte, würde sie sich zwar öffnen, aber aus der Entfernung sah sie unberührt aus. Neben der Tür stand ein Paar Stiefel. Er hob sie mit Daumen und Zeigefinger hoch. Sie sahen genauso aus wie die, die vor seinem Haus gestanden hatten. Er stellte sie auf den Boden zurück, ging zum Bett, setzte sich und öffnete den Laptop. In diesem Augenblick hörte er aus den Eingeweiden des Hauses ein rumpelndes Geräusch. Der Aufzug hatte sich wieder in Bewegung gesetzt.
Hoffmann legte den Laptop wieder aufs Bett und lauschte dem langsam nach oben fahrenden Lift. Das Geräusch verstummte, dann hörte er, wie sich der Aufzug ganz in der Nähe scheppernd öffnete. Er ging schnell zur Tür und schaute in dem Augenblick durch das Guckloch, als der Mann um die Ecke bog. In einer Hand trug er eine weiße Plastiktüte, mit der anderen suchte er in seiner Jackentasche nach dem Schlüssel. Vor der Tür blieb er stehen und zog den Schlüssel heraus. Durch das verzerrende Glas des Gucklochs sah sein Schädel wie ein Totenkopf aus. Wieder spürte Hoffmann, wie sich ihm die Haare sträubten.
Er trat einen Schritt zurück, sah sich schnell um und zog sich dann ins Bad zurück. In der nächsten Sekunde hörte er, wie der Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde und sofort danach ein überraschtes Brummen angesichts der Tür, die von selbst nach innen aufging. Durch den Spalt zwischen Badezimmertür und Türpfosten hatte Hoffmann den Mittelteil des im Halbdunkel liegenden Zimmers im Blick. Er hielt den Atem an. Eine Zeit lang passierte nichts. Er hoffte inständig, dass der Mann umkehren und wieder nach unten fahren würde, um den Einbruch zu melden. Doch dann huschte sein Schatten in Richtung des Fensters durch Hoffmanns Blickfeld. Hoffmann wollte gerade zur Tür stürzen, um sich aus dem Staub zu machen, als der Mann die Tür zum Bad mit einem Fußtritt aufstieß.
Der Mann hatte etwas von einem Skorpion. Der Stachel war ein langes Messer, das er auf Kopfhöhe hielt. Breitbeinig und geduckt stand er vor ihm. Er war größer, als Hoffmann ihn in Erinnerung hatte. Der Ledermantel ließ ihn massiger erscheinen. Keine Chance, an ihm vorbeizukommen. Sie starrten sich an. Zäh verrann Sekunde um Sekunde. Dann sagte der Mann mit deutschem Akzent und erstaunlich ruhiger, gesetzter Stimme: »Zurück. In die Badewanne.« Er
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