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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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die Knie. Sofort wurde ihm übel. Trotz der Hitze im Zimmer zitterte er vor Kälte. Er musste sich anziehen, er brauchte seine Sachen. Er stand auf und drückte vorsichtig gegen die Badtür. Von drinnen hörte er scharrende Geräusche. Der Mann war zur Kloschüssel gekrochen, sein Körper blockierte die Tür. Hoffmann stieß die Tür kräftig nach innen. Der Mann stöhnte auf und kroch zur Seite. Hoffmann stieg über ihn hinweg, hob seine Sachen und das Messer auf, ging zurück ins Schlafzimmer und zog sich schnell an. Ihn aufgefordert, dachte er wütend – was meinte er damit, er habe ihn aufgefordert? Er schaltete sein Handy ein, bekam aber immer noch kein Netz.
    Der Mann hing über der Kloschüssel. Er hob den Kopf, als Hoffmann ins Bad kam. Mit dem Messer in der Hand schaute Hoffmann ihn mitleidlos an.
    »Wie heißen Sie?«, fragte er.
    Der Mann wandte das Gesicht ab und spuckte Blut. Hoffmann kam vorsichtig näher, ging in die Hocke und betrachtete ihn sich aus einem halben Meter Entfernung genauer. Er war um die sechzig, obwohl das bei dem vielen Blut im Gesicht nur schwer zu schätzen war. Über einem Auge hatte er eine Schnittwunde. Hoffmann unterdrückte seinen Ekel, nahm das Messer in die linke Hand, beugte sich vor und öffnete den Ledermantel. Der Mann nahm die Arme hoch und ließ zu, dass Hoffmann in seine Innentasche griff und Brieftasche und Pass herauszog. Es war ein deutscher EU -Pass. Hoffmann schaute hinein. Das Foto sah ihm nicht besonders ähnlich. Laut Pass hieß er Johannes Karp, geboren am 14. April 1952 in Offenbach am Main.
    »Und Sie behaupten also allen Ernstes, dass Sie deshalb aus Deutschland gekommen sind, weil ich Sie dazu aufgefordert habe?«, sagte Hoffmann.
    »Ja.«
    »Sie sind verrückt.«
    »Nein, Sie sind verrückt«, sagte der Deutsche, der sich wieder etwas erholt hatte. »Sie haben mir die Codes für Ihr Haus gegeben.« Blut drang aus einem Mundwinkel. Er spuckte sich einen Zahn in die Hand und begutachtete ihn. »Sie sind der Verrückte.«
    »Wie habe ich Sie aufgefordert?«
    Karp hob müde die Hand und deutete ins andere Zimmer. »Computer.«
    Hoffmann stand auf. Er zeigte mit dem Messer auf ihn. »Und Sie rühren sich nicht vom Fleck.«
    Nebenan setzte er sich auf den Stuhl und öffnete den Laptop. Der Bildschirm leuchtete sofort auf und zeigte ihm ein Foto von seinem eigenen Gesicht. Die Qualität war schlecht – allem Anschein nach ein vergrößerter Ausschnitt aus einem Überwachungsvideo. Er schaute arglos und mit ausdruckslosem Gesicht nach oben in die Kamera. Sein Kopf füllte den gesamten Bildschirm aus. Es war unmöglich zu erkennen, wo das Foto aufgenommen war.
    Ein paar Tastenanschläge, und er war im Inhaltsverzeichnis der Festplatte. Er rief die zuletzt angeklickten Da teien auf. Der letzte Ordner war am Vorabend um kurz nach sechs Uhr angelegt worden. Er trug den Titel Der Kannibale von Rotenburg und enthielt jede Menge PDF - Dateien mit Zeitungsartikeln über den Fall eines Armin Meiwes, eines Computertechnikers und Internet-Kanni balen, der über eine Website ein williges Opfer kennengelernt, unter Drogen gesetzt und dann verspeist hatte. Er verbüßte eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Ein anderer Ordner schien mehrere Kapitel eines Romans zu enthalten – Der Metzgermeister . Hunderte von Seiten eines für Hoffmann unverständlichen geistigen Ergusses ohne jeden Absatz. Ein anderer Ordner war mit Das Opfer betitelt. Dabei handelte es sich anscheinend um Gesprächskopien aus einem Internet-Chatroom. Er überflog ein paar Seiten. Offenbar ein Dialog zwischen einem Teilnehmer, der Mordfantasien hatte, und einem, der sich in seinen Träumen den eigenen Tod vorzustellen versuchte. Die zweite Stimme kam ihm vage bekannt vor. Er erkannte bestimmte Formulierungen wieder, bestimmte Träume, die einst auch seinen Kopf wie hässliche Spinnweben verstopft hatten – bis er sie vertrieben hatte oder geglaubt hatte, sie vertrieben zu haben.
    Sie verschmolzen zu einem dunklen Gedankengebilde. Hoffmann war völlig gefesselt von dem, was er auf dem Bildschirm sah. Es grenzte an ein Wunder, dass ihn eine winzige Veränderung des Lichts oder der Luft genau in dem Augenblick den Kopf heben ließ, als das Messer vor ihm aufblitzte. Er riss den Kopf zurück, und die Spitze verfehlte haarscharf sein Auge. Der Mann musste das Schnapp messer, das eine fünfzehn Zentimeter lange Klinge hatte, in seiner Manteltasche versteckt gehabt haben. Nun trat er mit dem Fuß gegen

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