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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Gespräch, steckte das Handy ein und schaute sie vorwurfsvoll an. Mit seinen kurz geschorenen Haaren, dem gewölbten Schädel und der bulligen, gedrungenen Gestalt sah er aus wie ein bösartiger Buddha.
    »Haben Sie den Wagen da?«, fragte sie ihn.
    »Ja, Madame.«
    »Und Sie wurden angewiesen, mich überallhin zu fahren?«
    »Ja, Madame.«
    »Holen Sie ihn. Wir fahren zum Flughafen.«
    Während sie im Schlafzimmer Kleidungsstücke in einen Koffer warf, spulte ihr Gehirn immer wieder wie besessen die demütigende Szene in der Galerie ab. Wie hatte er ihr das antun können? Sie hatte keinen Zweifel, dass Alex ihre Ausstellung sabotiert hatte, auch wenn sie bereit war, ihm zuzugestehen, dass er nicht in böser Absicht gehandelt hatte. Nein, was sie zur Weißglut brachte, war diese plumpe, hoffnungslose Auffassung davon, was eine romantische Geste war. Einmal, vor ein, zwei Jahren, hatten sie im Urlaub in Saint-Tropez in einem lächerlich teuren Restaurant zu Abend gegessen, als sie beiläufig bemerkt hatte, wie grausam es sei, dass die Hummer in ihrem Wasserbecken nur darauf warteten, bei lebendigem Leib gekocht zu werden. Kaum hatte sie das gesagt, hatte er nichts Besseres zu tun gehabt, als alle Hummer zum doppelten Preis aufzukaufen und ins Hafenbecken kippen zu lassen. Nun ja, das allgemeine Protestgeschrei, als sie ins Wasser platschten und davonpaddelten, war schon ziemlich komisch gewesen und hatte ihn natürlich nicht im Geringsten gekümmert. Gabrielle öffnete einen zweiten Koffer und warf ein Paar Schuhe hinein. Aber die Szene von heute konnte sie ihm nicht verzeihen. Noch nicht. Es würde wenigstens ein paar Tage dauern, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
    Sie ging ins Bad und blieb unvermittelt stehen. Verwirrt schaute sie die Batterie Kosmetiktiegel und Parfümflaschen auf den Ablagen an. Was mitnehmen, wenn man nicht wusste, wie lange man weg sein würde oder wohin man überhaupt fahren wollte? Sie schaute in den Spiegel, sah das verdammte Kleid, das sie nach stundenlangem Anprobieren für den Start ihrer Künstlerkarriere ausgesucht hatte, und fing an zu weinen – weniger aus Selbstmitleid, wofür sie sich gehasst hätte, als aus Angst. Mach, dass er nicht krank ist, dachte sie. Lieber Gott, nimm ihn mir nicht weg, nicht so. Währenddessen musterte sie leidenschaftslos ihr Gesicht. Es war erstaunlich, wie sehr man sich durch Weinen entstellen konnte – als schmierte man in einem Gemälde herum. Sie griff in die Tasche ihrer Jacke und suchte nach einem Papiertaschentuch. Stattdessen stießen ihre Finger auf die scharfen Kanten einer Visitenkarte. Es war die von Professor Walton vom CERN .

Zwölf
    […] sind nach meiner Anschauungsweise Varietäten eben anfangende Spezies.
    Charles Darwin
Die Entstehung der Arten , 1 8 5 9
    Es war schon nach drei Uhr, als Hugo Quarry ins Büro zurückkehrte. Er hatte mehrere Nachrichten auf der Mailbox von Hoffmanns Handy hinterlassen, aber keine Antwort erhalten. Besorgt fragte er sich, wo sein Partner geblieben sein könnte. Hoffmanns sogenannter Bodyguard hatte in der Lobby ein Mädchen angebaggert und nicht bemerkt, dass sein Schützling das Hotel verlassen hatte. Quarry hatte ihn auf der Stelle gefeuert.
    Trotz allem war der Engländer guter Laune. Er war sich jetzt sicher, dass er doppelt so viel frisches Geld für den Fonds einsammeln würde, wie er zunächst angenommen hatte – zwei Milliarden Dollar. Das waren zusätzliche vierzig Millionen pro Jahr allein an Managementgebühren. Er hatte mehrere Gläser wahrlich erstklassigen Weins getrunken. Auf der Fahrt vom Beau-Rivage ins Büro hatte er den Erfolg mit einem Anruf bei Benetti und der Bestellung eines Hubschrauberlandeplatzes im Heck seiner Jacht gefeiert.
    Er lächelte so breit, dass der Gesichtsscanner sein geometrisches Profil nicht in der Datenbank finden konnte. Er riss sich zusammen, und beim zweiten Versuch klappte es. Unter den gleichgültigen, aber aufmerksamen Augen der Überwachungskamera durchquerte er die Lobby, rief dem Lift ein aufgekratztes »Fünf« zu und glitt in der gläsernen Röhre nach oben. Er sang leise das alte Lied seiner Schule vor sich hin, oder vielmehr, die wenigen Zeilen, an die er sich noch erinnerte. Sonent voces omnium, da-daa, da-daa, da-daa-da … Als die Lifttür sich öffnete, tippte er mit dem Finger an einen imaginären Hut und ließ seine Mitfahrer, tumbe Arbeitssklaven von DigiSyst oder EcoTec oder wie die Klitschen auch immer hießen, stirnrunzelnd zurück. Das

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