Angst
schließlich für den Griff der Badezimmertür, schleifte den Deutschen zur Tür und lehnte ihn daran an. Dann knüpfte er in ein Ende der Schnur eine Schlinge und legte sie dem Deutschen um den Hals, das andere Ende schlang er um den Türknopf und zog fest an. Es kostete ihn ziemlich viel Kraft, mit einer Hand an der Schnur zu ziehen und mit der anderen den Toten unter die Achsel zu fassen und so weit hochzuwuchten, dass die Szene zumindest einigermaßen plausibel aussah. Er wickelte die Schnur um den Türgriff und verknotete sie.
Nachdem er die Sachen des Deutschen wieder in den Rucksack gestopft und das Bett wieder gerade gestellt hatte, erinnerte auf den ersten Blick nichts mehr an das, was passiert war. Hoffmann steckte das Handy des Deutschen in die Tasche, klappte den Laptop zu, ging damit zum Fenster und zog den Vorhang auf. Das Fenster wurde anscheinend oft benutzt, es ließ sich leicht öffnen. Die Feuertreppe war mit verkrusteter Taubenscheiße, jeder Menge leerer Bierdosen und einer noch größeren Zahl durchweichter Zigarettenkippen übersät. Er stieg auf das Eisengerüst, drehte sich um, griff nach innen neben den Fensterrahmen und drückte auf den Schalter. Der Laden schloss sich.
Es war ein langer Weg bis nach unten. Sechs Stockwer ke, und bei jedem scheppernden Schritt war sich Hoffmann bewusst, wie sehr er auffiel. Aus den gegenüberliegenden Häusern konnte ihn jeder sehen, und auch jemand, der zufällig an einem der Hotelfenster stand, würde ihn bemerken. Glücklicherweise waren an den meisten Fenstern, an denen er vorbeikam, die Läden herunterge lassen, und an den anderen tauchten keine geisterhaften Gesichter hin ter den Musselinvorhängen auf. Das Hotel Diodati hatte sich für den Nachmittag zur Ruhe gelegt. Er dachte an nichts anderes als daran, die Leiche so weit wie möglich hinter sich zu lassen.
Von oben konnte er sehen, dass die Feuertreppe in einen kleinen betonierten Innenhof führte, aus dem man etwas halbherzig eine Freiluftsitzecke hatte machen wollen. Zu mehr als ein paar Gartenmöbeln aus Holz und zwei ausgebleichten grünen Sonnenschirmen mit Bierwerbung hatte es aber nicht gereicht. Der schnellste Weg auf die Straße, so vermutete er, führte durchs Hotel. Als er unten ankam und vor der Glasschiebetür zur Lobby stand, entschied sich das Angsttier in ihm jedoch dagegen. Das Risiko, dem Mann aus dem Nebenzimmer in die Arme zu laufen, war ihm zu groß. Er stellte einen der Gartenstühle an die Rückwand des Innenhofs, stieg darauf und schaute über die Mauer in den Nachbarhof.
Zwei Meter unter ihm breitete sich eine Ödnis aus widerwärtigem Unkrautgestrüpp aus, unter dem Küchengeräte und ein altes Fahrradgestell vor sich hin rosteten. An der Wand gegenüber standen große Müllcontainer. Der Hof gehörte zu einem Restaurant. Er konnte die Köche mit ihren weißen Hauben in der Küche herumlaufen sehen, konnte ihr Gebrüll und das Klappern von Pfannen hören. Er hob den Laptop auf die Mauerkrone, und gleich darauf saß er rittlings daneben. In der Ferne heulte eine Polizeisirene. Dann klemmte er sich den Laptop unter den Arm, schwang das andere Beine über die Mauer und landete hart im Brennnesselgestrüpp. Er fluchte. Zwischen den Müllcontainern tauchte ein junger Bursche auf, um nachzusehen, was da los war. Er sah arabisch aus, war höchstens zwanzig, glatt rasiert und rauchte eine Zigarette. Er trug einen leeren Abfalleimer und schaute Hoffmann überrascht an.
Hoffmann fragte schüchtern: »Où est la rue?« Er klopfte auf den Computer, als ob das irgendwie seine Anwesenheit in dem Hof erklären würde.
Der Bursche runzelte die Stirn, nahm dann langsam die Zigarette aus dem Mund und deutete über seine Schulter.
»Merci.« Hoffmann ging eilig durch die schmale Gasse, öffnete das Holztor und trat hinaus auf die Straße.
Gabrielle Hoffmann war mehr als eine Stunde wütend im Parc des Bastions herumgelaufen und hatte sich im Geist immer wieder all das vorgebetet, was sie Alex draußen auf dem Gehweg hätte sagen sollen. Bis sie schließlich auf ihrer dritten oder vierten Runde merkte, dass die Passanten sie anstarrten, weil sie wie eine verwirrte alte Frau vor sich hin brabbelte. Daraufhin hielt sie ein Taxi an und fuhr nach Hause. Vor dem Anwesen stand ein Streifenwagen mit zwei Gendarmen. Sie öffnete das Tor und sah im Windschatten des Hauses den jämmerlichen Bodyguard stehen, den Alex ihr als Aufpasser und Fahrer geschickt hatte. Der Bodyguard beendete sein
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