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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Lächeln verging ihm auch dann noch nicht, als die Glaswand, hinter der sich der Empfang von Hoffmann Investment Technologies befand, zur Seite glitt und er Jean-Philippe Leclerc erblickte. Der Inspektor von der Genfer Polizei wartete offenbar auf ihn. Quarry schaute auf den Besucherausweis und dann in das Gesicht der zerknitterten Gestalt vor ihm. Die amerikanischen Märkte würden in zehn Minuten öffnen. Dafür hatte er nun wirklich keine Zeit.
    »Könnten wir uns nicht ein andermal unterhalten, Inspektor? Ich meine, sonst jederzeit gern, aber heute haben wir hier alle ein bisschen viel um die Ohren.«
    »Tut mir sehr leid, dass ich Sie belästigen muss, Monsieur. Ich hatte eigentlich gehofft, mit Doktor Hoffmann sprechen zu können, aber da er nicht da ist, würde ich gern mit Ihnen ein paar Dinge durchgehen. Ich verspreche Ihnen, es dauert höchstens zehn Minuten.«
    Etwas an der Art, wie das alte Schlachtross mit leicht gespreizten Beinen vor ihm stand, riet Quarry, das Beste aus der Situation zu machen. »Natürlich«, sagte er und knipste sein Standardlächeln an. »So lange Sie wollen. Gehen wir in mein Büro.« Er streckte die Hand aus und bedeutete dem Inspektor vorauszugehen. »Am Ende des Gangs bitte rechts.« Er hatte das Gefühl, als würde er jetzt schon seit fünfzehn Stunden ohne Unterbrechung lächeln. Sein Gesicht schmerzte vor Jovialität. Sobald Leclerc ihm die Rücken zugewandt hatte, gönnte er sich eine finstere Miene.
    Leclerc ging langsam am Handelsraum vorbei und schaute sich alles ganz genau an. Der große offene Raum mit den Bildschirmen und Zeitzonenuhren war in etwa so beschaffen, wie er sich ein Finanzunternehmen vorgestellt hatte. Das kannte er aus dem Fernsehen. Die Angestellten jedoch waren eine Überraschung für ihn – alle waren jung, keiner trug Krawatte, geschweige denn Anzug. Auch die Stille überraschte ihn. Jeder saß an seinem Schreibtisch, die stumme, intensive Konzentration war mit Händen zu grei fen. Der Raum erinnerte ihn an einen Prüfungssaal in einem Knabencollege oder an ein religiöses Seminar: richtig, an ein Mormonenseminar. Das Bild gefiel ihm. Ihm fiel auf, dass auf mehreren Bildschirmen Slogans standen, in Rot auf weißem Hintergrund, wie in der alten Sowjetunion:
    DAS UNTERNEHMEN DER ZUKUNFT KENNT KEIN PAPIER
    DAS UNTERNEHMEN DER ZUKUNFT KENNT KEIN INVENTAR
    DAS UNTERNEHMEN DER ZUKUNFT IST VOLLDIGITAL
    DAS UNTERNEHMEN DER ZUKUNFT EXISTIERT
    »Nun«, sagte Quarry. »Was darf ich Ihnen anbieten?« Er lächelte wieder. »Tee, Kaffee, Wasser?«
    »Tee, würde ich mal sagen. In Gesellschaft eines Engländers …«
    »Amber, Schätzchen, bitte zweimal Tee. Kleines englisches Frühstück.«
    »Sie hatten jede Menge Anrufe, Hugo«, sagte Amber.
    »Da möchte ich drauf wetten.« Quarry öffnete die Bürotür, trat zur Seite, um Leclerc den Vortritt zu lassen, und ging dann direkt zu seinem Schreibtisch. »Bitte, Inspektor, nehmen Sie doch Platz. Entschuldigung, nur eine Sekunde.« Er schaute auf seinen Monitor. Die europäischen Märkte rasselten jetzt alle ziemlich flott bergab. Der DAX hatte um ein Prozent nachgegeben, der CAC um zwei, der FTSE um 1,5. Der Euro hatte gegenüber dem Dollar mehr als einen Cent verloren. Er hatte jetzt nicht die Zeit, um alle ihre Positionen zu überprüfen, aber die Ergebnisrechnung zeigte den VIXAL -4 für heute schon mit 68 Millionen Dollar im Plus. Dennoch kam ihm das alles irgendwie verdächtig vor – trotz seiner guten Laune. Er spürte, dass bald ein Sturm losbrechen würde. »Gut, sehr gut«, sagte er aufgekratzt und setzte sich. »Also, Inspektor, haben Sie den Irren schon geschnappt?«
    »Nein, noch nicht. Soviel ich weiß, arbeiten Sie seit acht Jahren mit Hoffmann zusammen.«
    »Richtig. 2002 haben wir den Laden aufgemacht.«
    Leclerc zückte Notizbuch und Stift. Er hielt beides hoch. »Sie haben doch nichts dagegen, oder?«
    »Nur zu. Alex wäre da allerdings anderer Meinung.«
    »Bitte?«
    »Kohlenstoffbasierte Datenabrufsysteme, sprich Notizblöcke und Zeitungen, sind innerhalb dieser Mauern nicht gestattet. Unser Unternehmen arbeitet volldigital, so zumindest die Vorgabe. Aber da Alex nicht anwesend ist, geht das in Ordnung. Schreiben Sie ruhig.«
    »Hört sich ein bisschen exzentrisch an«, sagte Leclerc und machte sich eine Notiz.
    »Könnte man so sagen. Total abgedreht und beknackt, könnte man auch sagen. Wie auch immer. So ist Alex halt. Er ist ein Genie, und Genies neigen dazu, die Welt mit anderen Augen zu

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