Angstblüte (German Edition)
Sprachliches. Wenn er spürt, daß er sich unmöglich gemacht hat, daß er unmöglich ist, jetzt, dann kann er durch nichts, was er tut, noch unmöglicher werden. Alles, was du tust und denkst, ist schon vernichtet, bevor du es tust und denkst. Alles, was du willst, ist vorvernichtet. Alles, was du zu Joni gesagt hast, ist nichts wert. Und da hörst du den Satz, den dein Vater, wenn er in Nürnberg von der Flakstellung auf einen Halbtagsurlaub heimkam, sagte: ’s hat alles kein’ Wert. Und die Mutter hat dann gesagt: Furchtbar.
Karl hatte das Gefühl, wie er jetzt da sitze, sei er ein Buddha aus Blei.
Daß sie jetzt nicht ansprechbar ist, kann auch heißen, ein alles beanspruchender Mann ist erschienen und hat sie mit sich ins endgültig Unerreichbare fortgerissen. Karl sah das Paar über weiße Wolken ins schwarze Licht reiten.
Dr. Dirk trank Tee, Berthold Brauch stilles Mineralwasser, Karl von Kahn, Frau Lenneweit und Frau Leuthold tranken Kaffee. Karl von Kahn hatte ins Konferenzzimmer gebeten. Sein Puma- Verkauf betraf zwar nur sein Privatportfolio, trotzdem wollte er zum besten geben, was er vorhatte: Zwei Millionen für einen Film.
Berthold Brauch sagte, er wisse, daß Herr von Kahn wisse, daß die Staatsanwaltschaft gerade bei mehreren Medien-Anbietern kistenweise Akten abgeschleppt habe, daß VIP 5 und VIP 6 gerade vom Markt genommen worden seien und daß der alles Wissende Stefan Loipfinger vorausgesagt habe, alle filmfinanzierenden Häuser müßten mit dem Staatsanwalt rechnen. Auf jeden Fall stünden Rückabwicklungen noch nicht dagewesenen Ausmaßes bevor, und wenn dergleichen beim führenden Medienanbieter VIP passiere, warte man besser ab, bis das Beben verebbt sei. Aber da Herr von Kahn das alles selber wisse, sei nur noch interessant, warum er sich gerade diesen Augenblick der größten Unsicherheit für einen Zwei-Millionen-Einsatz ins Mediengewerbe ausgesucht habe.
Karl von Kahn dankte. Dankte herzlich und lachend. Und entschuldigte sich, weil er nicht zuerst mitgeteilt habe, daß er die zwei Millionen nicht investiere, um Steuern zu sparen. Das ganze Branchenbeben der Medienanbieter sei ja nur eine Affäre, weil die Staatsanwälte die Verlustzuweisungen anfechten. Also, er investiert zwei Millionen in einen Film, einfach weil er das Gefühl hat, diese Gesellschaft, sie heiße Bocca di Leone, ist es wert, daß man einspringe, wenn da aus ehrbaren Gründen gerade zwei Millionen ausgefallen sind und dadurch ein unbezweifelbar großartiger Film, nämlich Das Othello-Projekt, nicht zustande käme.
D’accord, sagte Berthold Brauch. Meine Warnung bezog sich nur auf das hier übliche Motiv der steuerbegünstigten Verlustzuweisung. Da wäre im Augenblick Vorsicht geboten, der Fiskus rast.
Dr. Dirk sagte, wahrscheinlich sei der Lustfaktor bei einer Filmfinanzierung wichtiger als bei jedem anderen Geschäft, deshalb wäre es töricht, den Lustfaktor in den Spiegel einer schlichten Kalkulation sehen zu lassen oder aufzuzählen, wie viele Filme ihr Geld nicht eingespielt hätten. Er ziehe es vor, Herrn von Kahn zu diesem freudigen Ereignis zu gratulieren.
Karl bedankte sich. Daß sein Verstand trotz des unbezweifelbaren Lustfaktors noch nicht ganz getrübt sei, hoffe er dadurch zu beweisen, daß er die für 193 gekauften Puma- Stücke erst bei 225 verkaufe, die dann verdienten 16 Prozent minderten den riskierten Posten um dreihundertzwanzigtausend.
Auguri, sagte Dr. Dirk. Und es könne sein, daß Herr von Kahn schon ein bißchen Glück brauche, bis Puma wieder auf 225 klettere, das könne, so wie das Papier jetzt flattere, noch etwas dauern.
Karl nickte und sagte triumphierend: Der Regisseur ist übrigens Theodor Strabanzer.
Alles paletti, sagte Frau Leuthold sofort. So ein schöner Film. Wie sie einander das schöne Mädchen abjagen.
Frau Lenneweit, die offenbar keine Strabanzer-Filme gesehen hatte, nickte zu dem, was Frau Leuthold sagte, als habe sie Frau Leuthold das Wort erteilt und sei zufrieden mit dem, was Frau Leuthold aus ihrem Wortbeitrag mache.
Der Strabanzer-Film Tod des Fotografen, sagte Berthold Brauch, sei eine Zeit lang sein Lieblingsfilm gewesen, weil er noch nie einen Kriminalfilm gesehen habe, dessen Handlung so sinnvoll sei. Die Liebe zur Mutter als Krimi-Motiv! Großartig!
Und Dr. Dirk: Dieses Mädchen in Alles paletti, diese nur erratbare Traurigkeit eines Mädchens, das nie Gelegenheit hat zu sagen, was sie denkt über das, was mit ihr da passiert.
Karl von
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