Angstblüte (German Edition)
Sie suchte nach einer Rolle in diesem Vorgang. Er mußte ihr aber vermitteln, daß er hier kein Theater mache. Ihm war es ernst. Sie zog ein Gesicht wie die Frau, deren Mann schon am Donnerstagabend zudringlich wird anstatt, wie es sich gehört, am Freitag. Aber Karl konnte sich nicht mehr fortschicken lassen. Er erlebte sich moralisch. Es war das Moralische, was ihm diesen Geschlechtsverkehr befahl und nicht nur befahl, sondern ihn dazu mit einer Deutlichkeit ausstattete, die sich aufführen konnte wie Liebe.
Es wurde ein grotesker Geschlechtsverkehr, weil Karl seinen Ernst nicht auf Helen übertragen konnte. Sie lispelte nicht, und das Vergißmeinnichtblaßblau ihrer Augen gewann nicht die leuchtende Wegwartenbläue. So blieb er bis zum Schluß ernst, heftig und allein. Um Helen das spüren zu lassen, bedankte er sich, als alles vorbei war.
Helen sagte: So eine schöne Überraschung.
Das so war vielleicht doch ein bißchen gelispelt. Hoffte Karl. Nein, Helen hatte mitgemacht wie eine Sprechstundenhilfe. Unerweckt ist geblieben der Herzenshauptsatz Ich will ein Kind von dir. Und ohne den ist immer nichts.
4.
Daß Karl von Kahn gleich von Joni träumte, war schon erstaunlich. Der Traum hätte ja Seelenfiguren mobilisieren können, die längst in ihm heimisch waren, hätte sie mit Jonifrequenzen und -stimmungen aktuell aufplustern können, aber nein, Joni trat gleich in der ersten Nacht persönlich auf. Sie absolvierte ihren Auftritt sitzend. An einem Tisch saß sie rechts neben Karl. Links neben ihm saß Diego. Der spricht an Karls Gesicht vorbei heftig zu Joni hinüber. Und beleidigt sie. Joni reagiert so: Sie reißt ihren Kaugummi in der Mitte auseinander und schiebt Diego die Hälfte davon in den Mund. An Karl vorbei streckt sie ihre Hand bis zu Diegos Mund. Der schnappt richtig nach der Kaugummihälfte. Und hat sofort auch eine Kaugummihälfte in der Hand und schiebt die an Karls Gesicht vorbei ihr in den nur zu bereitwillig geöffneten Mund. Karl muß es hilflos geschehen lassen. Er will aufspringen, abhauen, aber da bemerkt er, daß er an seinen Stuhl gefesselt ist.
Das Frühstück wurde wie immer eröffnet mit Wielands Trunk . An diesem Morgen spürte Karl, daß er den Trunk ablehnen müßte. Daß er ihm trotzdem schmeckte, nahm er sich übel. Zur Zeit fragten Helen und Karl einander öfter nach ihren Träumen. Helen war eingeladen, im September auf einem Kongreß über das Thema Der Traum in der Paartherapie ein Referat zu halten, also war sie zur Zeit besonders daran interessiert, die Träume ihres Mannes zu erfahren.
Nein, sagte er auf die Routinefrage, er könne sich nicht erinnern, in der letzten Nacht irgend etwas geträumt zu haben.
Schlamper, sagte Helen, man träumt immer etwas, man muß nur rechtzeitig aufpassen, daß der Traum nicht versinkt.
Rechtzeitig, sagte Karl, wann ist das?
Wenn der Traum aufzuhören beginnt, sagte Helen. Die Traumenergie läßt nach, das spürt man auch im Traum. Was geträumt werden mußte, ist geträumt. Wenn man zum Beispiel eine peinliche oder schmerzliche Erfahrung macht im Traum, wenn es, das erlebt man doch heftig, ungut enden will, enden muß, wenn man dieses ungute Ende kommen sieht, man kann nicht fliehen, ist ins Desaster gebannt, dann ist der Moment gekommen, wo man sich bewußt werden muß, daß das ein Traum ist, und sei es ein böser. Ein Traum hört immer dann auf, wenn er seine schlimmste oder seine schönste Stelle erreicht hat. Und je böser die Träume, desto deutlicher prägen sie sich ein.
Um auch etwas beizusteuern, sagte er, daß Gundi neuerdings ihre Gäste nach ihren Träumen frage und sogar eigene Träume ziemlich kraß anbiete. Vielleicht sollte sich Helen da bedienen.
Träume im Fernsehen, sagte Helen, das sei absurd. Das ist, wie wenn du einen unentwickelten Film der grellen Sonne aussetzt. Träume müssen wie Filme in der Dunkelkammer entwickelt werden. Sie werde beim Traum-Kongreß im Herbst vorschlagen, im nächsten Jahr das Thema Träume, wie erzählt man sie zu behandeln. Ihr Referatthema wäre dann, wie Bettina Brentano und Achim von Arnim einander in Briefen ihre Träume erzählen …
Karl mußte jetzt wirklich gehen. Helen war beleidigt. Er versuchte, glimpflich davonzukommen.
Heute bräuchte ich dich so, sagte sie.
Heute abend, sagte er. Ich komme früh, nein, früher, nein, am frühesten.
Zu Frau Lenneweit konnte er sagen, seine Frau habe ihn heute nicht gehen lassen wollen.
Recht hat sie, sagte Frau Lenneweit.
Die
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