Angstblüte (German Edition)
Mehrzahl war eine zu Herzen gehende Versammlung. Menschen, hierhergekommen, um nur sich selber und ihren wahrscheinlich schwer verdienten und keinesfalls gewaltigen Einsatz zu vertreten. Und das eher schüchtern als heftig. Selten theatralisch. Kordanzüge, Lederwesten, Rucksackträger. Auch solche, die aus dem Rucksack, kaum, daß sie Platz gefunden hatten, ihren Laptop herauszogen und ihn sofort anspringen ließen. Grauköpfe mit kurzen, aber auch welche mit schulterlangen Haaren. Der mit den längsten Haaren hatte eine kleine Schwarze neben sich. Daß Karl von Kahn der Älteste im Raum war, sah er mit geschultem Blick. Aber unter fünfundfünfzig war von den sich selbst Vertretenden keiner. Unter den Profis gab es natürlich jede Menge Fünfunddreißigjähriger.
Vorne, vom Saal aus gesehen links, ein leicht schräg gestellter Tisch, an dem eine Management-Mischung aus Treuhand und Falk Capital Canada Platz nahm, dazu zwei Herren von Downing Street , einer kanadischen Firma, der in Toronto fünfzig Prozent des Objekts, um das es ging, gehörte. Rechts, genau so leicht schräg, der Tisch, an den sich die Insolvenzverwalter setzten. In der Mitte eine Leinwand mit Willkommensgruß. Wer vorne an der Leinwand vorbeiging, dem geisterte kurz die Schrift übers Gesicht.
Karl von Kahn hatte sich informiert, hatte eine Meinung, die würde er, sollte das nötig sein, vertreten. Er war dafür, das Immobilienobjekt an Blackstone , einen amerikanischen Anbieter, zu verkaufen. Die deutsche Falk- Gruppe war insolvent. Der Falk- Fonds in Toronto konnte überleben. Aber wie? Das war hier die Frage. Halb Parlament, halb Gerichtssaal. Herr Falk, mal in Haft, mal wieder draußen. Angeblich hatte er bei seiner Zürcher Firma Bilanzen geschönt, um sie für mehr, als sie wert war, nach London zu verkaufen. Für Karl von Kahn waren solche Verdächtigungen ein Produkt aus Mediengier und Staatsanwaltslust.
Es war eine außerordentliche Gesellschafterversammlung. Und weil die Einladungen nicht fristgerecht verschickt worden waren, würde es eine Informationsveranstaltung ohne Abstimmung sein.
Karl von Kahn und Graf Josef saßen in der vierten Tischreihe. Karl wies auf die Getränke und Knabbereien. Graf Josef zog das verächtlichste Gesicht, das er zur Verfügung hatte. Karl war froh, daß Benedikt Loibl nicht persönlich erschienen war. Der neigte zu Dramatisierungen. Graf Josef dagegen, im schwarzen Trachtenanzug, dessen Jacke oben durch ein silbernes Kettchen geschlossen war, wollte offensichtlich in hochmütiger Distanz zu allem hier Ablaufenden verharren. Mit an ihrem Fünfertisch saßen drei Berater, die sich kannten und einander, bis alles anfing, mit Berufsgeschichten unterhielten. Jetzt, glaub ich, sagte einer im Allgäuton, jetzt hab ich die Bank auf dem Eis.
Der Manager, der in Kanada die Falk- Fonds-Geschäfte führte, und die zwei Herren von Downing Street schilderten dann die Lage so, daß ein rascher Verkauf der Immobilie dringend empfohlen war. Im Gegensatz zu den deutschen Falk- Fonds sei der Kanada-Fonds in bester wirtschaftlicher Verfassung. Aber man müsse sensibel dafür sein, daß die Falk- Insolvenz, die Insolvenz des größten deutschen Verwalters geschlossener Immobilien-Fonds, in Kanada nicht unbemerkt geblieben sei. Gerüchte schwappten hinüber. Der Markt sei nun einmal das labilste aller labilen Gleichgewichte. Im Augenblick sei die Vermietung maximal, davon könne man jetzt profitieren. Die Partnerfirma Downing Street werde ihren Fünfzig-Prozent-Anteil, um die Gunst der Stunde zu nutzen, auf jeden Fall verkaufen. Der Manager aus Toronto warnte davor, dann in Toronto selber tätig zu werden. Die deutschen Anleger würden sich kaum wehren können gegen Corporate Raiders, die solche allein agierenden, relativ kleinen Firmen an sich reißen und ausweiden und dann fallen lassen würden.
Die in diesen Lageschilderungen spürbar gewordene Dringlichkeit weckte Gegenstimmen. Ein Großanleger beziehungsweise sein Vertreter sah nicht ein, eine Immobilie zu verkaufen, die in nicht ganz zwei Jahren einen Wertzuwachs von mehr als 20 Prozent aufwies, eine Vermietungsquote von 92 bis 95 Prozent, eine Rendite von 8 bis 12 Prozent. Kanadas Wirtschaft blühe wie sonst nur noch die Chinas. Man denke an das Ölwunder von Calgary. Keine Defizite im Staatshaushalt. Der 11. September habe nirgends so wenig geschadet wie in Kanada. Also sofort in Toronto eine Verwaltungsgesellschaft gründen, die Geschäfte selber
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