Angstblüte (German Edition)
Buches:
Aus den Erlebnissen und Erinnerungen eines alten Offiziers.
Von E. Betz
Oberst a. D.
Karlsruhe 1894
Und darunter:
Ex Libris Wilhelmi II
Imperatoris Regis
Karl nahm sich immer wieder vor, dieses Buch zu lesen. Bis jetzt war er über diesen Eintrag nicht hinausgekommen.
3.
Zum Glück war am Abend zuvor Frau Varnbühler-Bülow-Wachtels Esel Bileam gestorben. Zum ersten Mal hatte Karl von Kahn kein Gesprächsprogramm vorbereitet gehabt. Während er Amadeus bei Gundi angeschaut hatte, war Bileam gestorben. Noch an keinem Wochenende hatte Karl versäumt, das Gespräch mit der dreifachen Witwe für Montagmorgen vorzubereiten. Jetzt war sie praktisch das vierte Mal Witwe. Und Bileam war erst dreizehn gewesen. Herzverfettung. Und hätte bequem fünfundzwanzig, wenn nicht dreißig werden können.
Frau Amei wollte nichts hören von den günstigen Schicksalen ihrer Puma- oder Paion- Werte. Am Freitag noch waren die Kindergartenkinder mit der jugoslawischen Kindergärtnerin dagewesen, die einmal im Monat in Ameis Garten mit Bileam herumtollen durften. Als die Kindergärtnerin Bileam den Sattel auflegte, hatte dafür keines der Kinder ein Wort. Es waren ja türkische, griechische, spanische, aber auch deutsche Kinder. Und keines hat ein Wort für Sattel. Endlich sagte eine dünne kleine Bayerin: Sheriff. Da schrien sie alle: Sheriff. Bileam erschrak. Von diesem Augenblick an ging es ihm nicht mehr gut. Aber genauso wie Bileams Ende bekümmerte die Kundin das zukünftige Schicksal dieser Kinder, die nicht wissen, daß ein Sattel ein Sattel ist, aber Sheriff kennen sie. Das gibt noch Probleme, sagte Frau Amei.
An anderen Montagen hätte Karl von Kahn dieser kleinmütigen Altersroutine widersprochen, und in einem Ton, daß er Frau Amei aufgehellt sich selbst hätte überlassen können.
Aber er mußte zu Diego. In die Theresienstraße. Erst dann in die Firma.
Instinkt. Unprüfbar. Ein Ruf. Ein Zwang. Das Wichtigste: nichts zu erwarten. Auf dem Hinweg Erwartungen vernichten. Keine Spannung. Eben werden. Ungewölbt. Platt. Einfach hin. Ihm die Hand drücken.
Die von früher gewohnte, immer sehr historisch klingende Ladenglocke begleitete Karl von Kahns Eintritt. In der Brienner Straße hatte es diese Ladenglocke nicht gegeben. Drinnen, auch wie früher, ein von Glanzstellen gespicktes Dämmer. Und hinter seinem so edlen wie strengen Louis-XVI-Schreibtisch Diego. Vor ihm auf der grünen Lederfläche ein großes Buch, das er offenbar gerade durcharbeitete.
Karl von Kahn glaubte, er müsse den ersten Satz sagen und damit gleich eine mögliche Tonart vorschlagen. Also sagte er: Lambert, guten Tag.
Karl, ich grüße dich, sagte Diego.
Diego hatte zugenommen. Seine Jacke spannte. Aber er war so beweglich wie immer. Karl von Kahn mußte sich auf das Biedermeier-Sofa am Kapitänstisch setzen, Lambert trug das Buch herüber und fing an, sein neuestes Projekt zu besingen. Ganz wie früher. Er wird auf Schloß Sandrin den ganzen Nachlaß der Fürstin Granitza versteigern. Das gesamte Inventar von Schloß Sandrin. Da, schau, von der Large English Silver Punch Bowl bis zu Arnold Böcklin und Hans Makart, also Stücke von zweitausend bis gut und gern hunderttausend Dollar. Und blätterte die Bilder auf, besang, ohne es abzulesen, alles, was da aus und auf Schloß Sandrin angeboten wird. Sagte es in Englisch, weil der Katalog in Englisch verfaßt war. Das sei seine Entdeckung. Im Sommer, zur Festspielzeit, sind Tausende von Amerikanern in und um Salzburg herum. Unterhaltungsbedürftig. Sein Katalog wird ab April in Amerika kursieren. Dann eine Drei-Tage-Auktion auf Schloß Sandrin. Gehalten von Geoffry Laughlin, den kennt in den USA jeder, der sich für alte Kunst interessiert. Hat auch bei Christie’s auktioniert.
Diego ging vor Karl auf und ab und redete, wie er früher geredet hatte. Karl wußte, daß Diego zwei Stunden oder vier so reden konnte. Er hatte alles intus. Und begeistert war er wie eh und je. Rannte immer wieder zu Karl hin, schlug im Katalog, ohne suchen zu müssen, sofort die Seite auf, von der er gerade redete. Da, mit dreißig- bis vierzigtausend Dollar angesetzt, eine Meissen Porcelain Dark Blue-Ground Two-Handled Commemorative Presentation Vase. Von Seiner Durchlaucht, Franz Maria Fürst zu Granitza, Ihrer Durchlaucht, der Fürstin Herminie, zur silbernen Hochzeit gewidmet. Aber fünf Wochen vor dem Fest stürzt die Fürstin vom Pferd, verliert beide Augen, macht im Krankenbett ein Gedicht, der Fürst
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