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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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läßt’s noch vom Porzellanmaler draufmalen, da ist es, inscribed on the neck, und Diego sagte auf, was auf dem Hals der Vase goldgefaßt geschrieben war, auswendig, ja eigentlich sang er den Text.
    Ob ich mich dir zuwende
    Ob ich dich seh
    Ob ich mir die Hände
    Oder dir die Seele verdreh
    Ich bin am Ende
    Ich geh.
    Diego hätte natürlich den ganzen Katalog aufsagen können, aber Karl mußte in die Firma.
    Entschuldige, sagte Diego.
    Karl entschuldigte sich auch.
    Als sie einander die Hand gaben, behielt Diego Karls Hand in seinen Händen. Keiner sagte etwas. Dann sagte Diego: Ich war schlecht dran. Hatte keinen Überblick mehr. Panik pur. Dann sind aus sechs doch noch neunzehn geworden. Du kriegst also noch zwei Komma sechs. Plus Zinsen. Ich hatte Angst, du sagtest et tu, Brute . Darum habe ich nicht angerufen. Entschuldige.
    Karl zuckte mit den Schultern und deutete durch ein winziges Kopfschütteln an, daß es keine Verstimmung gebe, daß alles gut sei.
    Diego ging mit bis zur Tür. Als Karl die Türklinke schon in der Hand hatte, sagte Diego: Du bist gekommen, weil du gestern abend Gundi gesehen hast.
    Karl nickte.
    Und? Wie hast du die Sendung gefunden?
    Karl zuckte mit den Schultern.
    Ich sehe schon, sagte Diego, du traust dich wieder nicht. Sobald es sich nicht um Zahlen handelt, wirst du vorsichtig, oder soll ich sagen: feige! Laß dir sagen: Es war die beste Sendung, die Gundi je hatte. Wie sie den Formulierer über den Tisch gezogen hat, fabelhaft. Als sie heute nacht nach Hause kam, habe ich ihr gratuliert. Auf meine Art. Bis sie eintrat, hatte ich schon die Diamanten-Tiara aus dem Safe geholt, die millimetergenau gearbeitet ist nach der Tiara, die die Herzogin von Westminster im Jahr 1930 getragen hat. Die habe ich ihr aufgesetzt. Wirkte natürlich grotesk zu ihrem tomatigen Leinengeflatter. Aber ein paar Augenblicke ließ sie sich doch anstecken von der edlen Kopfbedeckung. Mach’s gut, Karl.
    Während Diego ihn, als wolle er ihm behilflich sein, hinausschob, dachte Karl, daß er sich mit Joni hätte vor Diegos Schaufenster in der Brienner Straße postieren sollen, so lange, bis Diego Joni und ihn gesehen hätte, bis er hätte zugeben müssen, daß Gundi, verglichen mit Joni, eine pudrige Mumie ist.
    Karl winkte noch zurück, dann ging er, rannte er fast, stadteinwärts und kam – wie immer – auf die Minute genau in der Faulhaber-Straße an.
    Frau Lenneweit sagte: Sie sind schon drin. Das hieß, Dr.   Dirk Herzig, Berthold Brauch und der, um den es gehen sollte, waren schon im Konferenzraum.
    Karl sah auf seine Uhr, um klarzumachen, daß er sich an die verabredete Zeit halte.
    Frau Lenneweit sagte: Sie können ja gar nicht zu spät kommen.
    Und er: Wenn ich gewußt hätte, daß ich zu einem solchen Kostümereignis komme, wäre ich noch schneller gerannt.
    Frau Lenneweit sagte, er sei der einzige, der das bemerkt habe.
    Vorgestellt wurde also Dr.   Beat Pestalozzi, dessen beruflichen Lebenslauf Karl von Kahn und Berthold Brauch studiert hatten.
    Karl von Kahn eröffnete: Und warum gehen Sie nicht auch gleich zur größten deutschen Investment-Gesellschaft wie Ihr Freund?
    Ich hab’s lieber überschaubar, sagte Dr.   Pestalozzi. Bei unüberschaubar großen Firmen wie Merrill Lynch sei er schon gewesen. In Lugano.
    Wie es bei uns zugeht, hat Ihnen Dr.   Herzig sicher verraten, sagte Karl von Kahn.
    Ja, ja, ja, gründlich, halt wie es seine Art ist, sagte der nicht nur von den Ellbogen bis zu den Händen, sondern von Kopf bis Fuß Gelenkige. Und mit seinen drei Ja’s ließ er dann fast alle Antworten beginnen. Es war, wie er das vorbrachte, kein Ja zuviel. Die Ja’s hüpften wie von selbst aus seinem Kindermund. Ein Mund ohne Disziplin. Ein von keiner Festigkeit belegtes Lippenwerk. Aber kein haltlos im Gesicht hängendes Mundwerk wie bei Amadeus, sondern ein auf guten Gebrauch wartendes Lippenwerk. Dazu lockige, fast schwarze Haare. Seine großen Augen drückten aus, daß er am liebsten staune. Also den fand Karl von Kahn sofort so liebenswürdig, daß er spürte, er dürfe das nicht merken lassen. Dr.   Herzig war tüchtig, zupackend, ergebnissicher, aber Karl von Kahn hatte keinen einzigen Abend mit ihm verbracht. Diesen Dr.   Beat hätte er am liebsten gleich mitgenommen in die Osterwaldstraße. Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht. Eine Stimme, ein Tenor, der nicht darauf besteht, einer zu sein. Unwillkürlich ein Tenor. Oder: Vom Wesen ein Tenor. Kein Schlaks wie Dr.   Herzig, und im

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