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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Vormittag an und sagte: Es ist leider wieder spät geworden, und leider habe ich wieder ein bißchen viel geredet. Dann mußte Karl sagen, daß es kein bißchen zuviel gewesen sei. Oder: Daß es keinen außer Diego gebe, dem man so lange zuhören möchte. Das bestritt Diego glaubhaft, danach konnte man über die Themen des Vormittags reden. Wenn man aber seinem Hinweis, daß er wieder zuviel geredet habe, nicht ernsthaft widersprach, kam er noch Tage, ja sogar Wochen später darauf zurück. Er finde es doch ziemlich hart, sagte er dann, daß sein Freund Karl ihn nicht befreit habe von dem von ihm selbst erhobenen Vorwurf, zuviel, zu lange geredet zu haben. Meistens beschloß er dieses Thema mit dem Satz: Ich bin einfach zu sensibel. Gar keine Frage, daß er Karl näher war als den anderen Befreundeten.
    Aber was hat Gundi, die Teuflischgöttliche, am Nachmittag in ihrer Bar gedacht oder gewollt? Manchmal muß man sich Mühe geben, nicht zu sehr verstanden zu werden, hatte sie gesagt. Und er, dämlich: Ich weiß. Und sie ganz intensiv, geradezu bohrend: Manchmal merkt man, man wäre ruiniert, wenn einen der andere verstünde. Und er, total dämlich: Genau. Erst danach hatte er ein bißchen aufholen können. Aber da war es zu spät. Sie war schon, wenn sie je irgendwo anders gewesen war, zurück bei Diego. Danach nur noch das Geschäft. Plus Theater. Von dem er nichts ahnte. Gundi nackt! Nach allem, was passiert war, hätte Diego nichts dagegen haben können, daß Karl zu Gundi gesagt hätte: Wenn ich jetzt gehe, ohne dich gefragt zu haben, ob ich deinen unwahrscheinlichen Hals berühren darf, dann werde ich mir das, wie ich mich kenne, ewig vorwerfen. Aber er war einfach gegangen. Feigling, hatte sie gesagt. Wie sie nackt aussieht, ist nicht leicht vorstellbar. Es ist auch egal, wie sie nackt aussieht. Wie sie nackt ist, ist entscheidend. Sie ist Art déco. Die ins Schöne verliebte Schönheit. Die rasende Selbstsucht. Die Allesversprechende. Und Nichtsgewährende. Mein Gott. Sie ist Fernsehen, basta.
    Er mußte ans Telefon. Helen. Sie rief zum Essen. Bärlauch-Pesto!
    Genau, sagte Karl und ging hinunter.

7.
    Am nächsten Morgen wachte Karl von Kahn schon um halb sechs auf anstatt, wie er’s gewohnt war, um sechs. Mit ihm erwachte ein Traum, den er sicher nicht erst in den Frühstunden geträumt hatte, der hatte aber darauf gewartet, daß Karl aufwache und sich mit ihm beschäftige. Diego!
    Ein gewaltiger Unfall mit Diego. In Diegos Lancia. Mehrmals überschlagen, das Auto zerriß in zwei Teile, im vorderen Teil, der einige Meter voraus gelandet war, saß Diego reglos am Steuer. Im hinteren Teil krümmte sich Karl in ein vom Unfall gebogenes Blech, das ihn so umgab, daß er wußte, er habe diesem Blech sein Überleben zu verdanken. Und er dachte sofort daran, wie oft er Diego schon gebeten hatte, nicht so zu rasen. Und Diego hatte immer gelacht und gelegentlich gesagt, dieses Auto würde es ihm übelnehmen, wenn er ihm nicht seine natürliche Geschwindigkeit gönnte. Jetzt sah Karl, daß seine Tochter Fanny vorne neben Diego saß. Und er wußte, daß er nicht sagen durfte: Ich hab’s doch immer schon gesagt. Er spürte überdeutlich, wie sehr Diego darunter litt, daß ihm ein solcher Unfall passiert war. Er wußte, er mußte sofort hin zu Diego und lachen. Das tat er. Wand sich aus der Blechhülle, versicherte sich seiner Glieder, lachte und lachte. Lachte, bis er Diego aus seiner Schreckstarre erlöst hatte. Diego lächelte. Mir fehlt nichts, rief Karl. Doch, sagte Fanny, nahm Karls Hand, griff mit zwei Fingern ein weghängendes Stück Fleisch, gab Karl den Blick frei ins Innere. Da sah er tief in sich hinab. Ein entsetzlicher Anblick, ein Durcheinander aus blutigem Fleisch und blutigen Zwetschgen. Und als er sagen wollte, es sei doch erstaunlich, daß er mit blauen blutigen Zwetschgen gefüllt sei, entwand sich dem Durcheinander eine Maus, die sprang ihm ins Gesicht. Mehr wußte er nicht mehr.
    Und nur durch Manöver wie das mit Karl und Puma habe er überlebt. Vielen Dank, lieber Karl, für dein Verständnis. Bis bald.
    Auch wenn sie einander nicht mehr so nah waren, wie sie einmal gewesen waren, die frühere Nähe erlaubte kein anderes Gefühl als das, das sich jetzt in Karl festigte. Wenn man einmal so befreundet war, kann man einander nicht mehr betrügen. Alles, was man dem anderen überhaupt antun kann, muß von dem verstanden werden. Karl war froh, daß er jetzt dieses Gefühl hatte. Diego war sein

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