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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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einziger Freund gewesen. Und was einmal war, kann nicht durch irgendwelche Operationen dazu verurteilt werden, nicht gewesen zu sein. Wenn etwas nicht mehr ist, hört es nicht auf, gewesen zu sein.
    Diegos Zusammenbruch war kein Theater. Diego ist aufgewacht, hat gewußt, heute muß er seinen Freund täuschen, vorübergehend täuschen. Hat das gedacht und mußte, laut Gundi, kotzen und konnte sich nicht mehr rühren. Das war der Schock. Natürlich hätte Diego anrufen können, hätte sagen können, er müsse jetzt, um nicht ganz verloren zu sein, zum Befreiungsschlag ausholen … Dazu hat sein Vertrauen nicht gereicht. Er war schon zu weit weg. Zuerst die zunehmende Entfernung, dann plötzlich: Ich brauche dich! Das hat er nicht geschafft. Er könnte immer noch anrufen: Du, ich hatte keine Wahl, versteh’s oder versteh’s nicht, mir wär’s lieber, du verstündest.
    Um Punkt sieben rief Professor Schertenleib an. Wie Amei Varnbühler-Bülow-Wachtel konnte der Professor anrufen, wann er wollte.
    Er werde dieses Land so schnell wie möglich verlassen, er bitte Herrn von Kahn, möglichst heute noch zu ihm zu kommen.
    Die Ruhe, mit der der Professor das mitteilte, war alarmierend. Karl sagte aber genauso ruhig: Wenn es Ihnen recht ist, bin ich um zehn bei Ihnen. Der Professor liebte eindeutige Aussagen. Er war Physiker.
    Zuerst mußte Karl noch Erewein anrufen. Wieder keine Antwort. Das war beunruhigend. In der ersten Maihälfte. Jetzt rief er doch bei Meschenmosers an. Frau Meschenmoser brauchte viele Sätze, um mitzuteilen, daß sie gedacht habe, der Herr von Kahn sei von seinem Bruder auf dem laufenden gehalten worden darüber, daß Frau Lotte heute vor drei Wochen hat ins Krankenhaus müssen, daß der Bruder zu ihr gezogen ist ins Krankenhaus, in das in der Nußbaumer Straße, daß die Operation gut verlaufen ist, daß aber an ein Zurückkommen der beiden nicht vor Ende dieser Woche zu denken ist und daß Lusch, die Katze, sich bei Meschenmosers gut eingelebt hat, weil sie ja, seit Frau Lotte diese Schmerzen gehabt hat, sowieso schon mehr bei Meschenmosers gewesen ist als drüben.
    Karl von Kahn sagte: Bloß gut, daß es Sie gibt, Frau Meschenmoser.
    Man tut, was man kann, sagte sie.
    Karl nahm sich vor, Frau Meschenmoser einen Frühlingsstrauß zu schicken. Im Krankenhaus würde er erst am Nachmittag anrufen. Zuerst zu Professor Schertenleib.
    Der Professor war, als sich Karl von der Hypo getrennt hatte, mit Karl gegangen. Der Professor war, als Anleger, Karls Geschöpf. Vierundsechzig war er gewesen, als er, nach der Begegnung auf der Autobahn, sein Überflüssiges Karl anvertraute. Und dann immer weiter, alles, was er nicht brauchte, ließ er von Karl vermehren, und das Vermehrte überließ er Karl zur weiteren Vermehrung. Das andauernde Beobachten dieser immer wieder von überraschenden Hemmnissen bedrohten Vermehrung wurde Schertenleibs liebste Beschäftigung. Das heißt: Er wurde ein Karl-von-Kahn-Kunde schlechthin. Verbrauch fand er kitschig. Die Vermehrung seiner Werte erlebte er als Erfolg. Er wollte von jeder Umschichtung, von jedem An- oder Verkauf genau informiert werden. Er war ein anstrengender Kunde. Solche Kunden liebte Karl von Kahn.
    Einmal hatte er Karl anvertraut, er wäre lieber nicht Physiker geworden, sondern Sänger, Opernsänger, wenn er im Krieg nicht ein Bein verloren hätte. In Stalingrad. Oberschenkelamputiert. Geht doch nicht, Tristan, oberschenkelamputiert. Und hatte eine Arie angeträllert. Dieses rasche Hineinsingen kam immer wieder vor, wenn man mit ihm sprach. Es war, als seien in ihm Arien gefangen, die darauf warteten, daß sie ihm aus der Seele und aus dem Mund kämen. Er war einfach voller Arien, voller Musik. Er hatte Tristan singen wollen und Lohengrin und Tannhäuser. Dann aber Physik. Atomphysik. Statt Staatsoper Siemens .
    Die Villa in Gräfelfing war in der Zeit der Sichtbeton-Architektur gebaut worden, kälteste Moderne. Auch an diesem hellsten Maitag mußte Karl angesichts des Betonwürfels an einen Bunker denken. Auf dem Flachdach wuchs ein bißchen Gras. Im Haus sorgten Schränke, Bilder und Regale dafür, daß der Sichtbeton erträglich blieb. Wie immer wurde Karl auch diesmal in das Zimmer geführt, das fast die ganze Hausbreite zum Garten hin einnahm. Kalte, schwarze, lederbezogene Sitzgelegenheiten, das Sofa erinnerte ihn an das dänische Sofa, auf dem Gundi ihre Fernsehkarriere gestartet hatte. Und ein gewaltiger Flügel. Aufgeklappt. Mit Noten.
    Als sie

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