Angstfalle
kostest, denkst du wenigstens an mich«, lachte er, legte die Packung auf den Boden und drehte sich um.
Trixi wollte schon aufatmen, da meinte er: »Einen schönen Tannenbaum hast du da. Man könnte meinen, du erwartest Besuch.«
»Genau das tue ich«, log Trixi, wobei sie sich fragte, wie er von draußen den geschmückten Baum sehen konnte. War er der Wohltäter?
»Niemand kommt dich besuchen, niemand«, bemerkte er hämisch. »Ich weiß, was hier los ist. Du bist über die Feiertage allein, weil du keinen Menschen hast, der dich besuchen oder einladen will.«
Dieser Kerl überraschte Trixi immer mehr. Nur jemand, der alles über ihr Leben wusste, konnte hinter dem Psychoterror stecken.
Sie schaute Bruno Dold nach wie er durch den Schnee schlitterte. Nein, ihm traute sie so viel Raffinesse nicht zu. Allerdings hatte er mit seiner Behauptung recht – vermutlich ohne es zu ahnen. Die Erkenntnis wog schwer, sie hatte selbst schon genug daran zu knabbern. Musste nun noch jemand kommen und in dieser schmerzlichen Wunde rühren?
Dahinter steckte eine Absicht. Vielleicht verfügte Bruno über so viel Verschlagenheit. Wer wusste schon, was er in den letzten Jahren alles getrieben hatte? Es konnte ein ausgetüftelter Plan dahinter stecken.
Eilig zog sie ihre Jacke an. Beim Verlassen des Hauses stolperte sie über die Pralinenschachtel, rutschte bei dem Versuch sich zu fangen aus, stürzte die Treppe hinunter und landete knapp neben der Schwarzdornhecke, die um diese Jahreszeit nur aus grauem, nacktem Geäst bestand. Aber Dornen zierten auch im Winter diesen Strauch. Deshalb war sie froh, daneben gelandet zu sein.
Wütend stand sie auf, klopfte den Schnee von ihren Kleidern und stapfte die Stufen wieder hinauf, um das Geschenk in den Müll zu werfen. Brunos Versuch, ihr eine Freude zu machen, war gründlich fehlgeschlagen.
Aber die Aussicht auf eine leckere Latte Macchiato gab ihr Auftrieb.
Unter der Schneeschicht war es glatt. Der Weg bis zum Grumbachtalweg wurde niemals gestreut, deshalb stellte sie sich sogleich auf eine Rutschpartie ein. Als sie heil über die vereiste Brücke gelangt war, atmete sie erleichtert auf. Ein Sturz am Morgen genügte ihr.
Das Glück war ihr hold, denn sie erwischte den Bus, der sie in die Stadt brachte.
In der Bahnhofsstraße gab es ein Bistro, die ›Brasserie‹, wo sie frühstücken wollte. Sie fühlte sich dort wohl. Das Ambiente versprühte nostalgischen Charme. Spärliche Beleuchtung an den tiefen Decken. Tische, Stühle und Bänke aus massivem Nussbaumholz und eine Theke, die sich durch die gesamte Länge des Lokals zog, unterstrichen die heimelige Gemütlichkeit. Parallel zur Theke stand ein reichhaltiges Frühstücksbuffet. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.
Plötzlich stand Roland vor ihr.
»Welch eine Freude!«, rief er entzückt. »Komm, setz dich. Ich lade dich zu einem feudalen Frühstück ein.«
Trixi war sprachlos. Dieser Morgen war voller Unannehmlichkeiten, sodass sie nichts mehr überraschen konnte. Sie setzte sich an einen Tisch direkt am Fenster, während Roland überschwänglich alles brachte, was seiner Meinung nach zu einem umfangreichen Frühstück gehörte. Trixi ließ ihn gewähren. Ihr Hunger lähmte ihren Widerstand.
Da saßen sie nun, aßen, tranken und beobachteten die Menschen auf der Bahnhofstraße, die ungeschickt durch den Schneematsch schlitterten, um ihre letzten Weihnachtseinkäufe zu tätigen. Roland erzählte währenddessen von seiner Mutter: »Du glaubst nicht, was ich gestern wieder erlebt habe!« Trixi wollte es gar nicht hören, wusste aber, er würde sie ausführlich informieren. »Ich habe zufällig in den Arzneischrank geschaut, weil meine Mutter ihr Herzmedikament brauchte. Da waren doch tatsächlich mehrere Packungen dieses Präparates mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum.«
Trixi gähnte.
»Ich habe vier Schachteln wegwerfen müssen, damit sie das verdorbene Zeug nicht irrtümlich einnimmt«, schüttelte er fassungslos den Kopf. »Manchmal habe ich den Eindruck, meine Mutter ist ein wenig verwirrt. Darauf ansprechen will ich sie aber nicht, dann wäre die Hölle los.«
Trixi war über die Beziehung zwischen Roland und seiner herzkranken Mutter bis ins Detail aufgeklärt, nachdem sie ihren Latte Macchiato ausgetrunken und ihr Frühstück aufgegessen hatte. Dabei kam sie zu dem Schluss, dass Roland es niemals geschafft hatte, sich von seiner Mutter zu lösen. Sollte das der Grund für sein absonderliches Verhalten sein?
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