Angstfalle
aufgeben, als ihr der Computer einfiel. Natürlich. Wies der Polizist nicht darauf hin, dass sich Stalker gerne solcher Hilfsmittel wie beleidigender E-Mails bedienten? Sie startete den Computer und prüfte den Posteingang. Aber da war nichts. Hatte sie sich alles nur eingebildet? War sie dabei verrückt zu werden?
Entmutigt ließ sie sich aufs Sofa sinken und hing ihren Gedanken nach.
Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sie geglaubt, die Ruhe, die dann einkehren würde, täte ihr gut. Aber so war es nicht.
Sie fühlte sich einsam und ihrem aufdringlichen Verehrer schutzlos ausgeliefert, der nur ein Ziel hatte, ihr das Leben zur Hölle zu machen.
3
Anke Deister fühlte sich nicht wohl, als sie von zwei jungen Sanitätern auf einem Stuhl wie auf einer Sänfte getragen wurde. Sie kam sich wie ein Pflegefall vor, dabei war sie nur hochschwanger. Aber diese Unannehmlichkeit nahm sie gern in Kauf. Seit Monaten lag sie nun im Krankenhausbett, durfte bis zum Geburtstermin ihrer Tochter nicht mehr aufstehen, da sich der Muttermund ein wenig geöffnet hatte. Die Gefahr, ihr Kind zu verlieren war groß. Das war das Ergebnis ihres unermüdlichen Einsatzes in ihrem letzten Fall. Gegen den Rat ihres Arztes hatte sie sich immer wieder großer Gefahr ausgesetzt. Nun verlangte ihr Körper seinen Tribut. Sie war nun mal mit Leib und Seele Kriminalbeamtin. Da fiel es ihr schwer, nur vom Schreibtisch aus zu arbeiten.
Sie spürte die kalte Luft auf ihrem Gesicht. Ihr Blick fiel auf die Schneeschicht auf dem Bürgersteig. Hoffentlich rutschten die Männer nicht aus und ließen sie fallen.
Plötzlich stand Kullmann neben ihr. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie die Weihnachtsfeiertage in seinem Haus, mit seiner Frau erleben durfte. Hartnäckig hatte er mit dem verantwortlichen Arzt verhandelt und ihm versichert, dass Anke keine Sekunde allein sein und von seiner Frau Martha umsorgt und betreut würde, wie es das Krankenhauspersonal nicht besser tun könnte. Das hatte den Arzt überzeugt. Mit der Telefonnummer des Gynäkologen in der Tasche durfte sie nun das Winterberg-Krankenhaus verlassen. Es war eine Wohltat. Obwohl sie hier nur die stark befahrene Kaiserstraße sah, an der sich Haus an Haus reihte, tat ihr der Anblick gut. Von ihrem Krankenzimmer aus schaute sie auf Baumkronen – was auf die Dauer eintönig war.
»Wie geht es dir?«
Anke musste lächeln, als sie das besorgte Gesicht ihres ehemaligen Vorgesetzten sah. Früher war Kullmann ihr Chef und Mentor, heute ihr Vertrauter und Freund.
Sie wunderte sich immer wieder über seine Fürsorglichkeit, die ihr die lange Zeit des Liegens bis zur Entbindung so angenehm wie möglich machte. Die Einladung, Weihnachten bei seiner Frau und ihm zu verbringen, war die Krönung des Ganzen. Hatte sie Ähnliches jemals bei ihren Eltern erlebt? Seit sie liegen musste, besuchte ihre Mutter sie oft, das musste Anke anerkennend feststellen. Niemals hätte sie erwartet, dass diese mehrere Nachmittage in der Woche in einem tristen Krankenzimmer zubringen würde. Aber nun war sie nach Australien geflogen. Ihre Eltern verbrachten wie jedes Jahr dort die Weihnachtsfeiertage, um dem feuchten und kalten Wetter hierzulande zu entfliehen. Auch Ankes Zustand hielt sie nicht davon ab.
Deshalb waren ihre Gefühle zwiespältig, als Kullmann sie einlud. Sie wollte nicht stören. Aber das leise Unbehagen war nun wie weggewischt. Als er neben ihr herging, sie anlächelte und unmissverständlich seine Sorge um ihr Wohlergehen bekundete, hatte sie keinen Zweifel mehr an der Richtigkeit ihrer Entscheidung. Seine Wangen waren gerötet, sein Haar zerzaust. Er sah so blühend aus, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Sein Ruhestand tat ihm augenscheinlich gut. Außerdem war er rundlicher geworden. Sein Gesicht wirkte zufriedener, seine Sorgenfalten waren verschwunden. Die Ehe mit Martha hatte dazu sicherlich beigetragen. Er hatte spät geheiratet, aber Kullmann war das lebende Beispiel dafür, dass es nie zu spät ist.
»Ich fühle mich seltsam, wie ein lebloses Wrack durch die Gegend getragen zu werden. Aber ansonsten bin ich froh, dass ich an Weihnachten hier sein darf«, gestand Anke mit einem Seufzer der Erleichterung.
»Was heißt hier dürfen? Du musst! Protest hätten wir keinen geduldet. Martha hat im Erdgeschoss alles gerichtet. Du wirst also keine weiten Wege haben, nicht weiter als im Krankenhaus. Außerdem wird sie ebenfalls unten schlafen. Eure Zimmer liegen Tür an Tür, sodass ihr euch immer
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