Angstfalle
Keller.
Inzwischen war es zehn Uhr vorbei, die Party war gelaufen. Entmutigt zog sie sich ihren Trainingsanzug an und setzte sich aufs Sofa. Die angebrochene Sektflasche stand vor ihr auf dem Tisch. War es klug gewesen, in ihrer Situation Alkohol zu trinken? Bestimmt nicht, denn sie konnte nicht mehr klar denken. Bei der Vorstellung, zu dieser späten Stunde im Keller nach ihrer Freundin zu suchen, wurde ihr angst und bange. Vermutlich war Käthe auch gar nicht dort und sie hatte sich alles nur eingebildet. Diese Erklärung gefiel ihr so gut, dass sie ein weiteres Glas Sekt trank.
Zwölf Uhr: Das Jahr 2003 wurde angekündigt.
Trixi erwachte von dem lauten Knallen. Sie erhob sich, stellte sich ans Küchenfenster und schaute sich das Feuerwerk an. Durch den Alkohol hatte sie einen Brummschädel. Von ihrer Freundin keine Spur. Das neue Jahr fing ja gut an. Sich die Schläfen reibend schlurfte sie ins Bett. Die bunten Leuchtraketen konnten ihre Laune nicht bessern.
Am nächsten Morgen dachte sie sofort an Käthe. Warum hatte sie sich nicht bei ihr gemeldet? Das sah ihr nicht ähnlich. Schon bevor sie aufstand, ergriff sie ihr Handy, das neben ihr auf der unbenutzten Bettseite lag. Sie rief Käthes Handynummer an. Wieder hörte sie die Melodie. Nun war es klar: Das Handy ihrer Freundin lag irgendwo im Haus. Dann wählte sie die Festnetznummer von Käthe. Dort meldete sich niemand. Also beschloss sie, immer wieder Käthes Handynummer zu wählen und ihrem Gehör zu folgen. Bald gab es keinen Zweifel mehr, dass der Klingelton aus dem Keller kam. Sollte sie wirklich hinuntergehen? Oder sollte sie die Polizei rufen, damit sie nachsah? Aber würden die Polizisten wirklich herausrücken und den Keller durchsuchen, nur weil sie glaubte, dort Käthes Handy zu hören? Das konnte sie vergessen.
Also musste sie sich selbst helfen. Sie zog sich warm an, als würden dicke Jacken und Winterschuhe etwas gegen ihre Angst bewirken. Trotzdem fühlte sie sich so geschützter. Eine Taschenlampe nahm sie auch mit.
Draußen begann es zu tauen. Der Schnee lag nur noch in weichen, nassen Pfützen vor dem Haus. Im Kellereingang hatte sich eine Wasserlache gebildet. Zum Glück hatte sie wasserfeste Schuhe an. Mutig stieg sie die steile, alte Betontreppe hinunter. Die Tür war seit ihrem Versuch, die Requisiten des Sensenmannes vor ihrem unheimlichen Verehrer im Keller wegzusperren, immer noch zersplittert. Sie stieß das alte Gebilde auf, schaltete die Taschenlampe ein und betrat die dunklen Gewölbe.
Ein modriger Geruch schlug ihr entgegen. Sie musste sich zwingen weiterzugehen. Als ihr nichts Ungewöhnliches auffiel, wählte sie wieder Käthes Nummer. Prompt hörte sie das Lied. Es konnte keinen Zweifel mehr geben. Aber wie kam Käthes Handy in ihren Keller?
Sie folgte der Richtung, aus der die Musik ertönte. Im Lichtkegel ihrer Taschenlampe schaute sie auf den Boden und sah jede Menge Schmutz. An manchen Ecken lagen verrostete Dosen, in denen früher einmal Farbe war. Morsche Holzlatten stapelten sich in einer Ecke. Ihr Blick fiel auf etwas Dunkles. Trixi spürte sofort, dass sie das nicht sehen wollte, was da vor ihr lag. Aber sie konnte nicht umhin, sie schaute hin.
Vor ihr lag Käthe – ausgestreckt auf dem dreckigen Boden. Sie trug ein schwarzes, kurzes Kleid, ihrem eigenen ähnlich. Die Nylonstrümpfe waren zerrissen, die Schuhe nicht mehr an ihren Füßen. Ihr Gesicht, ihre frisch gefärbten Haare und ihre Arme blutverschmiert, die Augen weit aufgerissen. Entlang ihrer Kehle klaffte eine große Schnittwunde. Eine Menge Blut hatte sich unter ihrem Körper zu einer Lache gebildet.
Trixi spürte nichts mehr um sich herum. Wie aus tausend Kilometern Entfernung glaubte sie ihren eigenen Schrei zu hören, dann wurde alles schwarz und still.
10
Es war Neujahrstag.
Kullmann bog über die Kaiserstraße in den Grumbachtalweg ein und steuerte das Appartementhaus an, in dem Anke von nun an mit ihrer Tochter leben würde. Er wollte die Räume ausmessen, um alles bestmöglich zu arrangieren. Schließlich sollten sich Mutter und Tochter wohlfühlen. Die Räume waren hell und geräumig und vom Balkon hatte man eine tolle Aussicht. Er trat hinaus und atmete tief die frische Luft ein. Sein Blick fiel auf vereinzelte Hochhäuser des Eschbergs, die wie Obelisken aus dem bewaldeten Berg hinausragten. Ein Parkplatz befand sich direkt gegenüber dem Appartementhaus. Dort konnte Anke jederzeit ihr Auto abstellen. Aber das waren nicht alle
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