Angstfalle
ließ seinen Blick über die Möbel wandern. Die verschiedenen Stilrichtungen weckten sein Interesse. Sie hinterließen beim Betrachter einen angenehmen optischen Eindruck. Forseti war beeindruckt. An den Wohnzimmerwänden waren Bilder arrangiert. Es waren keine Originale, wie er schnell erkannte, aber ausgezeichnete Reproduktionen.
Vom Sofa her ertönte ein leises Stöhnen. Trixi sah einen Nebelschleier vor sich. Trotzdem erinnerte sie sich genau, was sie gesehen hatte: Die Blutlache, darin ihre Freundin, mit den blond gefärbten Haaren. Sie war sicher, dass sie dort liegen sollte. Niemand hatte ihr geglaubt, als sie zur Polizei gegangen war. Und nun war wirklich etwas passiert. Aber es hatte ihre Freundin getroffen und nicht sie. Hatte der Täter sie verwechselt?
Die vielen Polizeibeamten, die vielen Fragen. Fast so, als stünde sie im Verdacht, ihre Freundin ermordet zu haben. Es dauerte eine Weile, bis sie den Beamten Diez erkannte. Sofort war sie hellwach. Sie richtete sich auf, schaute ihn direkt an und sagte so laut, dass niemand im Raum es überhören konnte: »Sie haben mich nicht ernst genommen, als ich zu Ihnen zur Kriminalpolizeiinspektion gekommen bin. Ich hatte Todesangst. Aber Sie haben meine Anzeige als Hirngespinst abgetan.«
»Wir haben Ihre Anzeige sachgemäß aufgenommen!«, brachte der Polizeibeamte schnell hervor, als er Forsetis Blick spürte.
»Und warum haben Sie nichts unternommen?«, hakte der Vorgesetzte nach.
»Sie erstattete Anzeige gegen einen Schneemann!«
Leises Gelächter ertönte, doch Forseti brachte es schnell mit einer Handbewegung zum Schweigen: »Was soll das? Sind wir hier im Kindergarten? Können Sie keinen genauen Bericht wiedergeben?«
»Sie gab an, dass sie bedroht würde, weil ihr jemand einen Schneemann in den Garten gebaut hatte. Die Anzeige richtete sich gegen einen Mann, der sie heiraten wollte. Ich hielt Frau Reuber nicht für gefährdet.«
»Ihre Freundin sieht Ihnen sehr ähnlich«, wandte Forseti sich wieder an Trixi.
»Ja«, wimmerte Trixi los. »Ich hatte ihr kurz vor Silvester die Haare gefärbt. Sie wollte für die Party unbedingt hübsch aussehen. Wir sahen danach wie Schwestern aus und fanden das lustig.«
Wieder wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt, bevor sie anfügte: »Und jetzt ist sie tot!«
»Kann es sein, dass der Täter Ihre Freundin mit Ihnen verwechselt hat?«
Nun hatte der Polizist genau das ausgesprochen, was Trixi befürchtete. Aus seinem Mund klang alles noch viel schrecklicher!
War es am Ende ihre Schuld, dass ihre Freundin tot war? Es war nicht nur die Ähnlichkeit, die Käthe zum Verhängnis geworden war. Hinzu kam, dass Trixi sich verspätet hatte, weil sie ein Buch abgeben wollte, was am Silvestertag ohnehin unmöglich war. Wäre sie nicht so gedankenlos, sondern wie verabredet zu Hause gewesen, hätte der Täter keine Gelegenheit gehabt, Käthe zu töten. Die Erkenntnis war so grausam, dass sie nicht weiterdenken wollte. Mit offenem Mund starrte sie den Polizeibeamten an, sagte aber kein Wort.
Ein Arzt trat ein. Er gab Trixi eine Beruhigungsspritze und händigte ihr Medikamente aus, damit sie den Tag überstehen und die Nacht durchschlafen konnte. Nachdem er wieder gegangen war, fragte Forseti: »Wollen Sie in diesem Haus bleiben?«
»Ich habe sonst nichts!«
»Gibt es niemanden, zu dem Sie ziehen können oder soll ich sie in ein Krankenhaus bringen lassen?«
»Es gab mal jemanden. Sie liegt tot in meinem Keller. Bitte lassen Sie mich jetzt allein.«
Sie wollte nur noch schlafen.
Als sie wieder aufwachte, war sie allein. Sie lag auf der Couch, ihr Blick fiel auf den Weihnachtsbaum. Nach allem, was sie erlebt hatte, spürte sie einen gewaltigen Groll gegen diesen Baum, denn auch dieses Stück war ein Produkt ihres Verfolgers. Hastig stand sie auf, öffnete das Wohnzimmerfenster und stemmte den Baum mitsamt seinem Weihnachtsschmuck, seiner Lichterkette und dem Ständer hinaus. Zu ihrem Erstaunen sah sie einen Polizisten. Er schaute zu ihr hinauf und rief: »Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«
»Ja. Was machen Sie hier?«
»Ihr Haus wird observiert!«
Bei näherem Hinsehen erkannte Trixi, dass es ein kleiner, untersetzter Mann war. Mit dem hätte Roland Berkes ein leichtes Spiel, dachte sie sich. Also konnte ihr seine Anwesenheit keine Beruhigung verschaffen.
»Wie geht es Ihnen?«
»Wie soll es mir schon gehen«, gab sie schnippisch zur Antwort und schlug das Fenster zu.
Traurig betrat sie ihr Pflanzenreich.
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