Angstfalle
seine Blätter herab, das leuchtende Rot war einem stumpfen Farbton gewichen. Es genügte nicht, dass sie sich vor dem Kadaver ekelte, auch der Anblick der verdorrten Pflanze versetzte ihr einen schmerzhaften Stich.
Sie stand unter ständiger Beobachtung. Das war ihr klar. So konnte das nicht weitergehen. Was wollte ihr hartnäckiger Verehrer damit erreichen? Wollte er sie davon überzeugen, dass es nicht gut für sie war, allein zu leben? Sollte sie ihn um Hilfe anflehen? Dieser Gedanke machte Trixi so rasend, dass sie beschloss, dem Treiben sofort ein Ende zu bereiten.
Sie musste die Polizei anrufen.
Kriminalkommissar Diez wusste bereits von dem Vorfall. Also dürfte es dieses Mal nicht so schwer sein, sich Gehör zu verschaffen. Sie empfand es unzumutbar, ständig mit dem toten Tier konfrontiert zu werden. Mit dieser Einstellung konnte sie nicht allein sein.
Als sie zum Telefon ging, begann es zu klingeln.
Erschrocken wich sie zurück.
»Hallo!«
»Warum willst du das gute Tier loshaben? Wie sagt man: Ratten sind auch nur Menschen «, hörte sie eine Stimme flüstern.
Dieses Zischen ging ihr durch Mark und Bein.
Sie wollte auflegen, als sie ihn weiter sprechen hörte: »Wie schwer es ist, eine Ratte loszuwerden, sieht man an dir!«
Aufgelöst vor Schreck warf sie den Hörer auf die Gabel.
Das war zuviel. Nun musste Trixi nicht mehr überlegen. Mit einem Satz sprang sie über die halb verweste Ratte vor der Tür, nahm mehrere Treppenstufen auf einmal und schwang sich auf ihr Fahrrad. In rasantem Tempo radelte sie durch die nasskalte Nacht zur Kriminalpolizeiinspektion. Der Pförtner ließ sie wieder zu einem Beamten der Abteilung für Tötungsdelikte. Aufgeregt betrat Trixi das Büro. Dort traf sie einen alten Bekannten: Kriminalkommissar Bernhard Diez. Es überraschte sie nicht mehr.
Hinzu kam, dass auf seinem Schreibtisch der Weihnachtsstern prangte, wie er schöner nicht sein konnte. Das ärgerte sie. Ihre Pflanze war der sinnlosen Verwüstung durch die Ratte zum Opfer gefallen.
»Na, junge Frau! Wo drückt denn heute der Schuh?«, fragte er ungeduldig.
Hastig berichtete sie ihm von dem bedrohlichen Anruf. Bernhard Diez schaute sie lange Zeit nur schweigend an. Trixi starrte zurück.
»Sie haben schon einmal etwas von einem bedrohlichen Anruf erzählt.«
Trixi erinnerte sich an ihre erste telefonische Drohung. Damals spielte er sein makabres Spiel mit dem Schneemann, der den Sensenmann darstellen sollte.
»Wie klang seine Stimme?«, fragte Diez.
»Er hat geflüstert.«
»Geflüstert?«
»Ja, beide Male. Es war derselbe Anrufer. Das habe ich sofort erkannt.«
»Das ist ja hochinteressant. Dann sind Sie die erste, der es gelingt, flüsternde Stimmen zu erkennen!«
»Warum nehmen Sie mich nicht ernst? Er klang genauso wie beim ersten Anruf.«
»Weil Flüstern immer gleich klingt«, bemerkte Diez kühl.
»Trotzdem weiß ich, wer mich bedroht!«
»Und wer soll das sein?«, fragte Diez in einem Ton, der verriet, dass er die Antwort gar nicht wissen wollte.
»Roland Berkes.«
»Sie geben nie auf, was?«
»Ich will, dass er zur Rechenschaft gezogen wird!«
»Zuerst haben Sie behauptet, er schenke Ihnen unerlaubterweise Blumen. Als wir ihn deshalb nicht lebenslänglich hinter Gitter bringen konnten, weil uns der Beweis fehlte – nämlich die Blumen – kommen Sie mit der Aussage, er schenke Ihnen Ratten, tot oder lebendig. Ich muss schon sagen, dass Sie nichts unversucht lassen. Sie haben Fantasie. Leider genügt uns das nicht.«
»Was ist mit der Clownsmaske?«, beharrte Trixi. »Er hat sie aus meinem ehemaligen Kinderzimmer gestohlen, aufgesetzt und mich damit zu Tode erschreckt.«
»Es ist keine Clownsmaske in ihrem Haus registriert worden. Er kann sie von überall her haben.«
»Dann schauen Sie bitte, was er mir mit der toten Ratte antut. Diese Ratte hat er in mein Haus gesetzt, ich habe sie getötet und weggeworfen. Seitdem landet sie jeden Abend wieder vor meiner Haustür.«
»Wir sind hier keine Kadaververwertungsstelle, junge Frau. Wir bearbeiten Tötungsdelikte.«
»Ihr Chef hat ausdrücklich gesagt, ich soll die Dinge, die vom Täter kommen, behalten, um keine Spuren zu verwischen.«
»Damit meinte er, Sie sollen die Drohbriefe aufheben, die er Ihnen angeblich schreibt.«
»Der Zettel lag vor meiner Treppe. Ich hatte Sie angerufen, aber Sie sind nicht gekommen, um nachzusehen«, erinnerte Trixi.
»Sie haben nichts von einem Zettel gesagt!«
Trixi schaute ihn resigniert
Weitere Kostenlose Bücher