Angsthauch
früher einer gewesen –, also starrten sie erst recht.
»Ich hol das Essen raus«, erbot sie sich überraschenderweise. Im Bikini kniete sie sich vor den Picknickkorb und begann, die Mahlzeit auszupacken, die Rose vorbereitet hatte. Während sie mit Flossie an der Brust dasaß, versuchte Rose, sich zu erinnern, was genau sie eingepackt hatte, aber es gelang ihr nicht. Es war, als läge der Vormittag in einem weit entfernten Land. Das Einzige, woran sie sich erinnern konnte, war, dass sie zum ersten Mal seit Jahren eine Mahlzeit ohne Liebe zubereitet hatte.
Es gab Eiersandwichs – ohne Kresse. Eine gekaufte, bereits vorgeschnittene Pizza. Sandwichs mit Käse und Erdnussbutter. Kleine Würstchen ohne Cocktailspieße oder Brötchen, mehrere Tüten Chips und Mars-Riegel, die Rose und Anna im Dorfladen besorgt hatten. Außerdem noch ein paar Plastikflaschen mit lilafarbenem Saftersatz. Das Einzige, was noch irgendetwas mit dem zu tun hatte, was Rose als ihr früheres Selbst betrachtete, war die Tüte mit Kirschen – dies allerdings auch nur entfernt, da es ihr unter normalen Umständen nicht im Traum eingefallen wäre, Obst außerhalb der Saison zu kaufen.
»Das sieht toll aus«, meinte Polly, als sie den Korken einer Champagnerflasche knallen ließ. »Hoch die Tassen!« Sie goss einen Plastikbecher voll und gab ihn Rose.
Rose stützte Flossie mit einem Arm und trank ihren Champagner. Dabei beobachtete sie die Kinder, die übermütig im Wasser herumtollten. Sie waren so weit weg, dass man sie nur anhand ihrer pinkfarbenen Schwimmringe erkennen konnte. Sie schienen ein Spiel zu spielen, bei dem es darum ging, einen der zwei Ringe in Besitz zu nehmen, egal mit welchen Mitteln. Die übrigen Kinder hielten gebührenden Abstand zu ihnen. Rose hoffte, dass dies nur damit zusammenhing, weil sie so wild spritzten, nicht mit dem, was sie sagten.
Polly beugte sich zu ihr und füllte ihr den Becher nach.
Als Rose mit dem Stillen fertig war, legte sie Flossie auf die Decke, wo diese reglos liegen blieb und in den Himmel schaute. Rose versuchte, sich einzureden, dass sie die Bäume beobachtete – Rosskastanien mit prächtigen Blütenkerzen. Sie legte sich neben sie und versuchte, an ihren Tagträumen teilzuhaben.
»Sieh mal, Flossie, Blumen im Himmel. Ist das nicht lustig?«
Polly sang halblaut einen ihrer eigenen Songs.
Von Floss kam keine Reaktion. Rose sah zu den Blättern und Blüten hinauf, die sanft im Wind schaukelten, und hörte ihrem Rauschen zu, das sich mit Pollys Gesang und den Gesprächen der anderen Badegäste vermischte. Sie musste es langsam angehen lassen. Sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Am besten, sie trank bis nach dem Mittagessen keinen Alkohol mehr.
»So, bitte schön!« Zum zweiten Mal hatte Polly Rose unaufgefordert nachgeschenkt. Trotz des Vorsatzes, den sie gerade erst gefasst hatte, stürzte Rose den Champagner hinunter. Wie sie nach Hause kommen sollten, wenn sie betrunken war, interessierte sie längst nicht mehr.
Polly stand auf, legte zwei Finger an die Lippen und pfiff. Schlagartig verstummten die Gespräche um sie herum, und jeder einzelne Badegast wandte den Kopf, um zu sehen, wer für die Ruhestörung verantwortlich war.
»Mama, was soll der Scheiß?«, brüllte Nico in die Stille hinein, quer über die ganze Wiese. Rose hörte das entsetzte Atemholen der Eltern, als sie herumfuhren und ihre missbilligenden Blicke nun auf den sonnengebräunten Tunichtgut in Badehose richteten.
Die drei Kinder trabten den Hang hinauf ihrem Picknick entgegen. Rose sah, dass Anna krampfhaft versuchte, nicht auf Pollys grotesken Körper zu starren.
»Die Sandwichs mag ich nicht«, erklärte Yannis, nachdem er das karge Mahl in Augenschein genommen hatte.
»Du musst aber was essen«, sagte Rose.
Polly warf ihm eine Tüte Chips und ein Mars hin. Die anderen begannen pflichtschuldig zu essen.
Rose hatte keinen großen Hunger, würgte aber trotzdem ein Sandwich hinunter, damit sie danach noch ein paar Becher Champagner trinken konnte. Sie waren schon bei der zweiten Flasche angelangt. Polly rührte wie üblich keinen Bissen an.
»Können wir jetzt wieder ins Wasser?«, fragte Anna mit von Kirschsaft gerötetem Mund.
»Erst musst du verdauen«, sagte Rose. Sie musste sich beim Sprechen konzentrieren, sie lallte schon ein wenig. »Komm und leg dich zu mir.«
Anna lenkte ein und kuschelte sich an die eine Seite, während Flossie auf der anderen Seite lag. Rose machte es sich bequem und
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