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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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sank ganz allmählich in Schlaf, während gesprenkeltes Sonnenlicht ihr das Gesicht wärmte.
    Als sie aufwachte, war sie nass geschwitzt. Anna und Flossie hafteten an ihr wie Druckknöpfe. Ihr war so wahnsinnig heiß. Sie schob die beiden von sich weg und setzte sich auf. Vom Champagner und der Sonne war sie ganz benommen. Polly und die Jungs schliefen tief und fest. Sie lagen in einigem Abstand zueinander auf dem Rücken, die Handflächen nach oben. Aus der Luft betrachtet, mussten sie wie Opfer eines Unglücks aussehen – ein Eindruck, der durch die Kirschsaftflecken auf den Gesichtern der Jungs noch verstärkt wurde.
    Auf der Wiese war Ruhe eingekehrt. Die Geräusche der wenigen im Wasser spielenden Kinder drangen nur gedämpft herüber. Die meisten Familien waren mit dem Mittagessen beschäftigt, und ihre wohlerzogenen Sprösslinge saßen im Gras, die nackten Beine lang ausgestreckt, und aßen brav Hähnchenschenkel und selbstgemachte Quiches. Einige Familien hatten Grills aufgebaut. Dünne Rauchschwaden stiegen von ihren Lagern auf und verströmten den Geruch von gebratenem Fleisch. Wenn man so wie Rose die Augen halb geschlossen hielt, sah die Wiese fast aus wie ein Schlachtfeld nach dem Kampf.
    Die Hitze machte sie rasend. Vorsichtig, um niemanden zu wecken, stand sie auf, streckte sich und ballte ihre Hände, die eingeschlafen waren, weil ihre Töchter darauf gelegen hatten, ein paarmal zu Fäusten. Vom Champagner benebelt, wühlte sie in der Strandtasche herum und zog ihren Badeanzug hervor. Er war schlicht schwarz und hatte eine Bauch-weg-Einlage, aber zugleich einen tiefen Ausschnitt, der das Beste aus ihren Brüsten machte. Er war, so fand Rose, vernünftig, aber nicht zu vernünftig. An einen Baumstamm gelehnt, zog sie sich um, wobei sie den Badeanzug unter dem Kleid überstreifte.
    Nachdem sie sich von dem Kleid befreit hatte, zog sie ihre Strandlatschen an. Sie ging nicht gern barfuß ins Wasser. Man wusste nie, worauf man treten konnte. Leicht befangen und mit vor dem Bauch gekreuzten Armen lief sie über die Wiese zum Fluss. Er war so kalt, dass sie erschrocken nach Luft schnappte, als sie sich ins flache Wasser fallen ließ und kurz untertauchte, um sich die Haare nass zu machen. Sie kam sofort wieder hoch, japsend und mit pochendem Herzen. Dann ließ sie sich erneut ins Wasser gleiten, diesmal langsamer. Es reichte ihr nur bis zum Oberschenkel, war aber trotz der Sonneneinstrahlung noch kalt. Im Spätsommer, nachdem es eine ganze Saison lang von der Sonne beschienen worden war, konnte das Wasser hier im flachen Teil so warm sein wie in einer Badewanne.
    Doch Roses eigentliches Ziel war der schnell dahinfließende Teil jenseits des Wehrs. Sie zog sich hoch und rutschte auf der anderen Seite die von Algen begrünte Schräge bäuchlings wieder herunter, hinein in die braune gurgelnde Tiefe.
    Im Nichtschwimmerbereich war es kalt gewesen, aber das tiefe Wasser war wie Eis. Ein heftiger Schmerz fuhr ihr in den Kopf, und einen Moment lang vergaß sie, dass sie Zehen und Fingerspitzen hatte. Sie versuchte, das Wehr wieder hinaufzuklettern, indem sie sich an einem der glitschigen Stränge Seetang festhielt, die daran wuchsen, aber als sie sich daran hängte, riss er ab. Keuchend, aber noch relativ gelassen, versuchte sie, mit den Füßen auf den Boden zu kommen, doch der Fluss führte nach dem Regen mehr Wasser, und sie fand keinen Halt. Die Strömung trug sie fort von der Badestelle.
    Zuerst schwamm sie dagegen an, um zu der Stelle zurückzukommen, wo sie ins Wasser gestiegen war. Als sich das als aussichtslos erwies, versuchte sie, sich zum anderen Ufer durchzukämpfen, wo man sich besser festhalten konnte. Doch die Kälte, und möglicherweise auch der Alkohol, machten sie immer schwerfälliger. Sie war eine geübte Schwimmerin, aber jetzt kam sie trotz aller Bemühungen kein Stück vorwärts. Irgendwann wurde ihr klar, dass sie den Kampf verlieren würde. Ihr Herz begann, wild zu hämmern, und ein Adrenalinstoß jagte durch ihren Körper, der sich daraufhin verkrampfte, als hätte man ihn unter Strom gesetzt. Unwillkürlich schnappte sie nach Luft, und mit der Luft zusammen schluckte sie trübes Flusswasser. Sie hustete, ruderte mit den kraftlosen Armen und spürte, wie sie immer tiefer sank, als würde sie von Wasserkindern hinabgezogen. Etwas Großes, Stachliges streifte ihr Bein, und ihr blieb genau eine Sekunde, um sich vor Hechten und ihren rasiermesserscharfen Zähnen zu fürchten, bevor sie

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