Angsthauch
öffnete sich träge.
»Anna! Was ist denn mit dir passiert?«
»Monkey hat mich gekratzt. Er hat versucht, meine Wimpern zu fangen. Erst fand ich’s lustig, aber dann hat er mich am Auge erwischt.« Anna sprach mit dünner Stimme. »Es war meine Schuld.« Ihr gesundes Auge füllte sich mit Tränen. »Du darfst Monkey nicht die Schuld geben.«
»Wie schlimm ist es denn?«, wollte Rose wissen. Warum hatte ihr niemand davon erzählt? Wie spät war es?
»Sie haben gemeint, es kommt wieder in Ordnung. Aber es ist ein ziemlich tiefer Kratzer. Tut ganz schön weh.«
»Mein armes Kleines«, sagte Rose und zog Anna an sich.
»Sie haben mir Tropfen gegeben, das hat sich angefühlt wie ein Messer im Auge. Aber jetzt ist es schon viel besser, ohne Licht.«
»Du Arme.«
Ein leises Klopfen ertönte an der Tür, und Gareth trat ein. Er hatte Flossie auf dem Arm.
»Hi, Schatz«, sagte er, setzte sich neben Anna aufs Bett und griff über sie hinweg nach Roses Hand.
»Was ist passiert, Gareth?« Rose setzte sich auf.
»Alles halb so wild, Rose. Sie haben gesagt, dass sie bald wieder sehen kann.«
»Bald wieder?«
»Im Moment ist es noch zu schmerzhaft für sie, das Auge zu öffnen, das ist alles. Die Hornhaut wurde verletzt. Wir müssen nur dafür sorgen, dass die Wunde sauber bleibt. Im Krankenhaus haben sie das Auge schon gespült, und –«
»Im Krankenhaus?«
»Ja.«
»Wann wart ihr denn im Krankenhaus?«
»Heute Morgen. Es ist kurz vor der Schule passiert, also bin ich schnell mit ihr nach Bath gefahren. Wusstest du das nicht?«
»Nein. Polly hat mir nichts davon gesagt.«
»Wahrscheinlich wollte sie dich nicht beunruhigen. Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht oder sich anhört.«
»Meinst du nicht, dass ich das Recht habe, zu erfahren, wenn meine Tochter ins Krankenhaus muss?« Rose merkte, dass sie lauter geworden war. Sie atmete heftig. Anna sah sie mit ihrem gesunden Auge ängstlich an und lehnte sich instinktiv zu Gareth, der Roses Hand losgelassen und stattdessen den Arm um seine Tochter gelegt hatte.
»Siehst du? Genau das ist der Grund, weshalb es besser war, dir nichts zu sagen«, meinte er. »Dir geht es nicht gut. Du musst es ruhig angehen lassen.«
»Jetzt reicht es mir aber!«, sagte Rose. Sie stieg aus dem Bett und steuerte aufs Badezimmer zu. Sie war es ihren Töchtern und sich selbst schuldig, wieder das Ruder zu übernehmen. »Ich stehe auf. Ich mache Abendessen. Mir geht’s ausgezeichnet.«
Sie blieb kurz stehen, weil schwarze Punkte vor ihren Augen tanzten. Sie gab sich alle Mühe, nicht zu schwanken oder zu stolpern.
»Rose, bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist?«, fragte Gareth. Er hatte sich auf dem Bett umgedreht, so dass er jetzt mit dem Rücken ans Kopfteil gelehnt dasaß. Noch immer hatte er einen großen Arm beschützend um Anna geschlungen.
»Mir fehlt absolut gar nichts«, erwiderte Rose durch die Zähne, die sie zusammengebissen hatte, weil sie sich anstrengen musste, einerseits bei Bewusstsein zu bleiben und andererseits den in ihr aufwallenden Zorn zu unterdrücken. Wenn ihr an diesem Tag noch einmal jemand diese Frage stellte, dann würde sie explodieren, und zwar buchstäblich, wie sie befürchtete.
»Rose?«, fragte Gareth.
»Was?« Sag es ja nicht noch mal, dachte sie. Als sie sich zu ihm umdrehte, sah sie, dass sein Blick auf ihr verbundenes Schienbein gerichtet war.
»Rose, was hast du denn mit deinem Bein gemacht?«
»Ach, das ist nichts. Ich … bin hingefallen.«
Rose eilte ins Bad und schloss sich ein. Gegen die Tür gelehnt, stand sie da, bis sie sich wieder gefangen hatte.
37
R ose ließ Anna, Gareth und Flossie im Schlafzimmer zurück und ging nach unten. Es war früher Nachmittag, und die Küche war leer. Trotz der Unordnung waren keinerlei Anzeichen dafür erkennbar, dass Vorbereitungen fürs Abendessen getroffen worden wären. Dies sah sie als Einladung, sich selbst ans Werk zu machen.
Sie ging zu den Haken neben der Hintertür und nahm ihre rosa-blau-geblümte Schürze herunter. Sie band sie sich um, zog das Band um die Taille straff und knotete es vorne fest. Sie langte in die Vordertasche, fand darin die Haarklammer, die sie immer beim Kochen trug, und steckte sich die Haare aus dem Gesicht.
Gegen die Tür zur Kammer gelehnt, betrachtete sie die leeren Regale. Wo waren all die Lebensmittel geblieben? Im Gemüsekorb lag eine einzelne Zwiebel, daneben stand eine halbleere Packung Conchilie. Von ihren Gläsern mit Marmelade,
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