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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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noch an den Honey Club, Rose?«
    »Aber was ist mit Annas Auge?«
    »Versuchst du immer noch, dich zu drücken? Das ist doch bloß ein Kratzer. Wenn wir fahren, ist er wahrscheinlich schon fast verheilt. Und schlimmstenfalls gibt es ja auch in Brighton Ärzte und Krankenhäuser, stimmt’s?«
    Rose war heiß, als hätte sie Fieber.
    »Was ist denn das da auf deiner Wange?«, fragte Polly, beugte sich zu Rose und berührte sie mit dem Daumen. »Sieht aus wie Blut.«
    Rose rieb sich die Stelle. Das musste vom Messerschnitt stammen.
    »Du musst besser aufpassen, Rose. Wie auch immer, Lucy freut sich jedenfalls riesig darauf, dich und deine Mädels zu sehen. Und uns natürlich. Das muss ja inzwischen – was? – achtzehn Jahre her sein, seit wir zuletzt in Brighton waren.«
    »Zwanzig Jahre, drei Monate und zwei Tage«, sagte Rose.
    »Wow.« Polly sah sie mit leicht gerunzelter Stirn an. Falls eine tiefere Bedeutung oder gar Verständnis in ihrem Blick lag, übersah Rose dies ganz bewusst.
    Sie stand auf. Bis zu diesem Punkt war ihr die Reise nach Brighton wie etwas Abstraktes erschienen, aber nun war sie mit einem Schlag erschreckend real geworden. Sie wusste beim besten Willen nicht, wie sie es ertragen sollte, an den Ort ihrer Kindheit zurückzukehren. Mit allem konfrontiert zu werden, was seit ihrer Flucht passiert – oder nicht passiert – war.
    Die Tür zur Terrasse flog auf, und Nico und Yannis kamen in einem Wirbelwind aus Schultaschen, Matsch und geröteten, rotzverkrusteten Gesichtern hereingestürzt.
    »Schleimscheißer!« Nico verpasste Yannis eine Kopfnuss.
    »Fick dich ins Knie!«, schrie Yannis. Dann rief er: »Mama!«
    »Hört auf mit diesem verdammten Gezanke, verstanden?«, sagte Polly und wandte den Blick wieder dem Bildschirm zu. »Einige von uns haben zu arbeiten.«
    Rose hätte den beiden Jungs gern gesagt, sie sollten rausgehen und zur Hintertür wieder hereinkommen, wo es eine Fußmatte gab und einen Platz für die dreckigen Schuhe. Anna hätte das, ohne nachzudenken, getan. Aber Rose ha tte das Gefühl, dass sie gar nicht mehr das Recht hatte, einzuschreiten. Ihr Einflussbereich schien auf einen winzigen Punkt zusammengeschrumpft.
    »Hattet ihr einen schönen Tag?«, fragte sie, als sich die beiden aufs Sofa fallen ließen und mit der Fernbedienung den Fernseher einschalteten. Sie hatten immer noch ihre schmutzigen Schuhe an. Wäre der Sofabezug nicht schiefergrau gewesen, hätte er übel ausgesehen.
    »Wen interessiert’s«, meinte Nico abweisend, bereits ganz auf das Flimmern bunter Bilder und Soundeffekte fixiert, das er im Wohnzimmer entfesselt hatte.
    »Morgen ist schulfrei«, sagte Yannis. »Der Boiler ist kaputt.«
    »Übermorgen auch«, fügte Nico hinzu.
    »Vielleicht sogar die ganze Woche, hat Miss Richardson gesagt«, teilte Yannis Rose mit.
    »Siehst du?«, meinte Polly und sah sie an. »Das ist ein Zeichen.«
    »Rose, wie geht’s Anna eigentlich?« Yannis nahm leise ihre Hand und suchte ihren Blick.
    »Ganz gut. Ein bisschen erschöpft. Warum gehst du nicht nach oben und schaust selbst?«
    Er schlüpfte hinaus. Ein paar Minuten später riss sich Nico mit einem schweren Seufzer vom Fernseher los und stand auf, um seinem Bruder zu folgen.
    Polly wandte sich wieder dem Computer zu. Inzwischen war sie damit beschäftigt, sich selbst zu googeln. Sie klickte einen Link an, und kurz darauf erschien ein berühmt gewordenes Foto der zwanzigjährigen Polly, wie sie, klapperdürr, ihr Mikrofon streichelte, als vollziehe sie Fellatio an ihm. Sie sah in jedem nur erdenklichen Wortsinn schmutzig aus, aber zugleich auch seltsam schön.
    »Sieh mich nur an.« Polly kicherte.
    Rose ging zur Terrassentür, wo die Jungs ihre Schultaschen hingeworfen hatten. Sie hob sie auf und ging in die Küche, um sie an die Garderobenhaken zu hängen, nachdem sie die Brotdosen herausgenommen hatte. Dann setzte sie sich wieder an den Küchentisch, um endlich ihren Einkaufszettel zu schreiben.
    Sie kaute auf dem Bleistift herum, bis ihr Mund voller Holzsplitter, Farbkrümel und harter Graphitstückchen war. Sie wollte gerade anfangen, als Gareth mit Flossie nach unten kam.
    »Ich habe den Jungs erlaubt, ein bisschen bei Anna zu bleiben«, sagte er. »Aber sie ist ziemlich müde. Sie haben ihr starke Schmerzmittel gegeben.«
    »Gut«, erwiderte Rose, ohne aufzusehen.
    »Mute dir nicht zu viel zu, Rose«, meinte er und setzte Flossie auf ihrem Spielteppich ab.
    »Sie kann nicht mehr allein sitzen, Gareth. Du

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