Angsthauch
Eifer daranmachten, im überwucherten Teil ganz hinten eine Butze zu bauen. Rose lächelte und dachte, dass Gareth daran seine helle Freude haben würde.
Um halb sieben schickte Rose Nico nach nebenan, damit er Polly zum Abendessen holte. Als er jedoch kurze Zeit später wiederkam, war er allein.
»Sie liegt im Bett und ruht sich aus oder so. Sie hat gesagt, wir sollen ohne sie anfangen.«
»Ich mache nachher einen Teller fertig, den könnt ihr dann für sie mitnehmen«, sagte Rose.
»Nee, das ist Verschwendung«, meinte Nico. »Sie hat gesagt, sie hat keinen Hunger.«
Soweit Rose wusste, hatte Polly den ganzen Tag noch nichts gegessen. Sie würde wirklich ein Auge auf sie haben müssen.
Um sieben tauchte Gareth aus seinem Atelier auf, und alle – bis auf Polly – setzten sich zum Abendessen hin. Es gab Lasagne. Die Jungs schlangen das Essen wie ausgehungerte Wölfe hinunter, verlangten beide Nachschlag und leckten danach noch die Teller sauber.
Ihren ersten Tag an der neuen Schule hatten die beiden als bewunderte Exotika verbracht. Ein Akzent und eine dunkle Haut wie ihre hatten an der kleinen Dorfschule echten Seltenheitswert.
»Yannis und ich wollten um den Schulhof rumlaufen, und das haben wir dann auch gemacht, und kurze Zeit später sind uns alle hinterhergerannt«, erzählte Nico.
»Die ganze Schule!«, sagte Anna zu Gareth, damit auch jeder Zweifel ausgeräumt war.
»Alle in einer Reihe hintereinander!«, fügte Yannis hinzu.
Anna und die Jungs strahlten sich an. Anna hatte sich den ganzen Tag über in dem Glanz gesonnt, der auf sie abfiel, weil sie die beiden kannte, und Rose merkte, dass ihr das gefiel. Sehr sogar.
»Wie ein Haufen Bekloppte«, schloss Nico den Bericht. Dann verstummte sein Gelächter. Er gähnte und schüttelte sich. »Mir ist kalt.«
»Ja, ihr müsst euch erst noch an die Abende hier gewöhnen. Es kann ziemlich kühl werden«, erklärte Rose. »Esst auf, und dann bringe ich euch rüber ins Bett. Es ist schon spät.«
»Zu Hause dürfen wir immer so lange aufbleiben, wie wir wollen«, merkte Nico an.
»Bei uns wird das anders gehandhabt«, sagte Gareth. »Und solange ihr hier seid, macht ihr es wie wir.«
»Außerdem müsst ihr doch todmüde sein, nach der anstrengenden Reise und dem langen Schultag«, fügte Rose hinzu.
»Auf geht’s, Anna Banana«, sagte Gareth und schnappte sich seine beiden Töchter. Es war Zeit für ihr abendliches Bad.
Rose suchte zwei Decken heraus, in die sie die Jungs einwickelte, dann ging sie mit ihnen durch den Garten zum Nebengebäude. Der Himmel war klar, es ging kein Wind. Ein leichter Frost machte die Luft scharf, und die Sterne sahen aus wie winzige Löcher in einem Seidentuch, das man gegen das Licht hält.
»Da«, sagte sie und zeigte nach oben, »der Große Wagen. Sehr ihr ihn?«
»Den haben wir zu Hause auch«, meinte Nico. »Wir können ihn jeden Abend von der Terrasse aus sehen. Aber bei uns ist er weiter da drüben.« Und mit seiner ganz eigenen astronomischen Logik zeigte er in Richtung Süden.
Rose scheuchte die beiden die Treppe hinauf ins dunkle Wohn-Schlaf-Zimmer. Auf Zehenspitzen schlichen sie an Polly vorbei, die zusammengerollt auf dem großen Bett lag und schlief. Rose ging mit ihnen ins Badezimmer und knipste das Licht an. Polly musste geduscht haben. Der Boden war nass, ein Haufen feuchter Handtücher lag zusammengeknüllt in einer Ecke, und sämtliche Oberflächen waren mit Talkumpuder bestäubt.
»Wo sind denn eure Zahnbürsten?«, fragte sie die Jungs.
Die zuckten mit den Schultern.
»Und eure Toilettensachen?«
»Toilettensachen? Iiihhh!« Yannis kicherte.
»Ich meine eure Kulturbeutel.«
Die beiden sahen sie verständnislos an. Also gab Rose ihnen aus der Tube, die sie vorsorglich bereitgelegt hatte, je einen Klecks Zahnpasta auf die Finger und ließ sie so die Zähne putzen. Morgen würde sie ihnen wärmere Kleidung und Zahnbürsten kaufen. Und Schlafanzüge, denn die besaßen sie, wie sich herausstellte, auch nicht.
Als sie fertig waren, ging sie mit den beiden nach nebenan und deckte sie zu. Erst jetzt fiel ihr auf, dass das Schlafzimmer für zwei Personen wirklich zu klein war. Außerdem roch es leicht stockig, was sie bisher nie bemerkt hatte.
Bevor sie das Licht ausknipste, drehte sie sich noch ein mal zu den beiden um und lächelte ihnen zu. Zwei gebräun te Gesichter schauten unter den identisch gestreiften Bettdecken hervor und sahen sie an.
»Rose?«, kam Yannis’ leise Stimme aus seinem
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