Angsthauch
werden sich die beiden hier sehr gut einfügen«, sagte Janet. »Die anderen Kinder scheinen schwer beeindruckt von ihnen zu sein.«
»Tja, sie sind schon ein Gespann«, meinte Polly, bevor sie aufstand und Janet die Hand hinstreckte.
»Vielen Dank, Janet«, sagte Rose.
»Keine Ursache. Die Kleine ist übrigens unglaublich süß.« Janet ergriff die Hand, die Flossie ihr wie eine kleine Diva aus dem Tuch entgegengestreckt hatte. »Ich freue mich so, dass du eine zweite kleine Anna für mich in Vorbereitung hast.«
Sie verabschiedeten sich und gingen durch den widerhallenden Korridor mit seinem Geruch von Schulmittagessen und Regenmänteln zurück nach draußen.
Auf dem Schulhof wurden gerade die Kinder zurückgebracht, die ihre Mittagspause zu Hause verbracht hatten. Rose entging nicht, dass Polly unter den Eltern für Aufsehen sorgte. Schon bevor sie berühmt geworden war, hatte sie alle Blicke auf sich gezogen. Sie besaß von Natur aus Glamour und eine linkische, aber zugleich stolze Art, sich zu bewegen. Jetzt, mehr als ein Jahrzehnt nach ihrem letzten Album, schauten die Leute immer noch zweimal hin. Selbst mit dem adrett frisierten Haar und den unauffälligen Kleidern hatte Polly einen unverwechselbaren Look, der sich nur schwer verdecken ließ.
Im Versuch, die Wirkung, die Polly auf ihre Umwelt haben konnte, ein wenig abzuschwächen – und dem Ärger zuvorzukommen, der für gewöhnlich daraus folgte –, stellte Rose sie einigen Eltern als »meine alte Freundin Polly« vor, deren Kinder neu an der Schule seien. Aber es war zwecklos. Sobald Polly ihnen die Hand hinstreckte, hatte Rose das Gefühl, sie würde die Queen vorstellen.
»Ich dachte schon, ich muss Autogramme schreiben«, meinte Polly hinterher, als sie über die Wiese zurückgingen.
Zu Hause angekommen, ging sie sofort zum Nebengebäude, um sich hinzulegen.
»Kannst du nachher die Jungs abholen? Ich bin total erschossen«, sagte sie noch im Gehen.
»Natürlich.« Nico war neun, und da die Kinder nun zu dritt waren, hatte Rose bereits überlegt, ob sie Anna nicht bald ihren sehnlichsten Wunsch würde erfüllen können, allein zur Schule zu gehen. Sie mussten keine Straße überqueren, und der Großteil des Wegs führte querfeldein.
Als sie Anna die Geschichte aus ihrer Kindheit erzählt hatte, hatte sie den wahren Grund, weshalb ihre Eltern ihr damals nicht erlaubt hatten, auf dem Weg zur Schule die Abkürzung unter dem Pier hindurch zu nehmen, bewusst verschwiegen: Die Stelle galt als Versammlungsort für allerlei zwielichtiges Gesindel. Einmal war ein Mann gekommen und hatte Rose gepackt. Ihm hatte etwas Rotes, Hartes aus der Hose gehangen, und er hatte ihre Hand genommen, sie darumgelegt und sie auf und ab bewegt. Rose hatte ganz fest zugedrückt und ihm die Fingernägel ins Fleisch gegraben, woraufhin er aufgeschrien und den Griff um sie gelockert hatte. Sie hatte mit der Schultasche nach ihm geschlagen und war weggerannt. Doch seinen Gestank war sie nicht losgeworden, ganz egal, wie gründlich sie sich die Hände wusch. Noch Wochen später hatte sie Alpträume gehabt, in denen er ihr nach Hause folgte, durchs Fenster in ihr Zimmer kletterte und mit diesem stinkenden Ding nach ihr stieß, während er ihr eine dreckige Hand aufs Gesicht presste.
Danach hatte sie versucht, brav zu sein und ihren Eltern zu gehorchen, zumindest für eine Weile. Aber ganz egal, wie viel Mühe sie sich gab, es schien immer nach hinten loszugehen, und früher oder später hatte sie doch wieder die Treppe hochrennen und sich im Bad einschließen müssen, damit ihr Vater sie nicht in die Finger bekam. Irgendwann hatte sie es aufgegeben. Das Ergebnis war sowieso immer dasselbe.
Dieses Erlebnis war der Grund, weshalb Rose nicht wollte, dass Anna allein loszog. Aber nun, mit zwei wilden, furchtlosen Leibwächtern an ihrer Seite, wäre sie vermutlich sicher. Es war nur einer der vielen Vorteile, wenn Polly, Nico und Yannis eine Weile blieben.
Rose dachte immer noch darüber nach, als sie sich wenig später erneut auf den Weg machte, um die Kinder abzuholen. Auf dem Rückweg hörte sie Nico und Yannis zu, die aufgeregt von ihrem ersten Tag an Annas Schule berichteten.
»Das ist jetzt auch eure Schule«, sagte Anna und schwang sich die Schultasche von den Schultern nach vorn über die Brust und immer so weiter im Kreis herum.
Als sie zu Hause ankamen, gab Rose ihnen allen ein Glas Milch und ein Stück Kuchen. Dann schickte sie sie in den Garten, wo sie sich mit
Weitere Kostenlose Bücher