Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
Vom Netzwerk:
reichte ihr den Kimono.
    »Danke«, sagte sie und legte ihn sich um die knochigen Schultern. Obwohl er viel zu groß für sie war, verlieh Polly dem Kimono Glamour, eine Art Geschichte. Wenn Rose ihn trug, war er nichts als ein wunderschöner Kimono, aber an Polly sah er aus, als hinge ein Hauch von Billie Holiday in seinen Falten.
    Sie versanken in Schweigen, während Rose Flossie zu Ende stillte und Gareth nachdenklich in seinen Kaffeebecher sah. Polly zitterte immer noch. Ihr Blick ging aus dem Fenster, dann ganz plötzlich zu Boden.
    »Ich muss dann mal zurück an die Arbeit«, verkündete Gareth irgendwann.
    »Ich wünschte, Christos hätte deine Disziplin gehabt«, meinte Polly und sah mit verhangenen Augen zu ihm auf.
    »Aber er hat doch andauernd gearbeitet«, widersprach Rose. »Er war unheimlich produktiv.«
    »Er war ein fauler alter Grieche«, sagte Polly und stocherte sich mit der Zinke einer Gabel, die jemand auf dem Tisch hatte liegen lassen, unter den Fingernägeln herum.
    Gareth stieß die Luft aus und sah Rose mit erhobenen Brauen an. Dann strich er ihr mit dem Knöchel seines Zeigefingers über die Wange und ging, wobei er die Hintertür ein wenig zu nachdrücklich hinter sich ins Schloss zog.
    Rose stand auf und legte Flossie zurück auf ihr Lammfell. Dann holte sie die Obstschale und stellte sie vor Polly hin.
    Polly nahm sich eine Orange und drehte sie in den Händen hin und her wie einen Kricketball.
    »Also, die Jungs sind in der Schule«, meinte Rose.
    »Hab ich mir schon gedacht.« Polly grub die Nägel in die Orange, um sie zu schälen. »Das ist gut. Danke.«
    »Die Direktorin würde dich gern heute im Laufe des Tages sehen. Es gibt noch ein bisschen Papierkram, der erledigt werden muss.«
    »Gott. Mir kommt es vor, als hätte ich seit Christos’ Tod nichts anderes gemacht.«
    »Tut mir leid«, sagte Rose. »Aber es muss gemacht werden. Es war wirklich sehr nett von Janet, dass sie sie heute gleich dabehalten hat. Ich dachte, ich gehe mit dir so gegen zwölf hin, dann erwischen wir sie in der Mittagspause.«
    »Wenn du unbedingt willst.« Polly zog die weiße Haut von der Orange. Sorgfältig zupfte sie jedes noch so kleine Fitzelchen ab.
    »Komm schon, Polly. Du musst auch an Nico und Yannis denken.«
    »Glaubst du, das weiß ich nicht?« Polly knallte die geschälte Orange auf den Tisch. »Glaubst du nicht, dass ich mich bemühe? Für dich ist es leicht gesagt, Rose, mit deinem schicken Haus und deinem tollen Mann und deinen scheißvollkommenen Kindern …«
    »Polly …«
    »Für dich ist alles ganz wunderbar, nicht?«
    »Das ist nicht fair.«
    »Ganz richtig!«
    Darauf wusste Rose nichts zu erwidern.
    »Es ist alles so perfekt hier. Die perfekte Rose und ihr perfektes Haus«, fuhr Polly fort. »Sieh nur, ein Alessi-Kessel! Kräuter, die von der Decke hängen, ein cremefarbener AGA und der ganze Mist.«
    »Hör auf damit«, bat Rose leise. Polly war aufgestanden und ging in der Küche umher. Da ihr der Zwischenfall vom Frühstück wieder einfiel, stellte Rose sich schützend vor Flossie.
    »Mit Christos war es scheiße. Scheiße , verstehst du?«, sagte Polly. »Nie hat irgendwas geklappt. Ich hatte nie so was wie das hier, und jetzt – jetzt hab ich überhaupt nichts mehr.« Sie blieb in der Mitte der Küche stehen und sah zur Gewölbedecke hinauf. »Nach allem …« Sie schlang die Arme um sich und kniff die Augen zusammen, als wolle sie die Welt mit Gewalt wieder auf scharf stellen.
    »Er hat mich überhaupt nicht geliebt, weißt du? Nicht wirklich. Nicht wie – nicht so .« Sie spuckte das Wort förmlich aus, wobei sie auf die Tür zeigte, durch die Gareth verschwunden war. »Er wollte bloß meine Magie. Und als er die bekommen hatte, als er mich komplett leer gesaugt hatte, da hatte er die Nase voll.«
    Sie drehte sich zu Rose um und sah ihr direkt in die Augen.
    »Du hast Glück, Rose. Du hast keine Magie, die man dir stehlen könnte. Du wirst nie erfahren müssen, wie sich das anfühlt. Es war eine einzige Scheiße mit Christos auf Karpathos. Scheiße. Und dann ist er gestorben.«
    Ich darf das nicht persönlich nehmen, schärfte Rose sich ein, die Mühe hatte, verständnisvoll zu bleiben.
    Dann ging ein Ruck durch Polly, als hätte die Realität sie urplötzlich am Schädel gepackt.
    »Er ist gestorben, Rose. Er ist allen Ernstes gestorben.« Sie holte Luft und zuckte erneut. »Ich glaub, ich kann nicht mehr.«
    Ihr Gesicht fiel in sich zusammen, und ihre Augen füllten

Weitere Kostenlose Bücher