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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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sich mit Tränen.
    Das war es, worauf Rose gewartet hatte. Sie ging zu Polly und hielt sie ganz fest. Sie spürte, wie sie in ihrem Armen zusammensackte, während Schluchzer wie mächtige Wellen durch ihren winzigen Körper gingen.
    »Wach auf, Poll«, flüsterte sie. Sie nahm eine Spur Zufriedenheit in sich wahr, weil sie nicht auf Pollys Provokation eingegangen war. Schließlich war das meiste davon ihrer Trauer zuzuschreiben.
    »Alles wird gut«, beschwor sie sie. »Du schaffst das. Du bist eine Kämpferin, Polly, weißt du nicht mehr? Du schaffst alles.«
    Erneut zog sie Polly an sich, roch die lange Reise, die noch in ihren Haaren hing, ihr Parfüm und ihre ungewaschene Haut. Als sie ihr den Rücken rieb, spürte sie jede einzelne Rippe und weiter unten die Kontur ihrer Hüftknochen. Polly war so zerbrechlich, dass sie unter Roses Berührung fast zu zerbröckeln schien.
    »Weißt du nicht mehr?«, drängte Rose.
    »Ich bin eine Kämpferin.«
    »Du bist eine Kämpferin. Du hast mir geholfen, als wir jünger waren. Und jetzt helfe ich dir, Poll. Ich bin für dich da.«
    Sie standen eine Zeitlang schweigend, bis Polly wieder etwas zur Ruhe gekommen war.
    »Bist du das wirklich, Rose?«
    Als sie aufblickte, glaubte Rose, die grünen Sprenkel in Pollys Iris golden aufblitzen zu sehen. Sie drückte ihren Zeigefinger gegen Pollys und suchte dort nach der Narbe, dem Gegenstück zu ihrer.
    »Du hast mir geholfen, und jetzt helfe ich dir. Wo immer ich kann.«
    »Wo immer du kannst?«
    Als die Narben sich berührten, spürte Rose den vertrauten Ruck im Bauch, irgendetwas zwischen Angst, Freude und Erregung, ein Gefühl, das nur Polly in ihr auslösen konnte.
    »Wo immer ich kann. Und es tut mir leid, dass du das Gefühl hattest, ich würde dich unter Druck setzen«, sagte sie, strich Polly übers Haar und nahm dann ihr Gesicht in beide Hände. »Ich sage Janet, dass du es heute nicht schaffst.«
    »Nein. Du hattest recht. Ich gehe hin. Ich muss mich zusammenreißen, der Jungs wegen.« Sie sah zu Rose auf. »Du weißt, dass das eben nur so dahergeredet war, oder? Ich hab Christos geliebt – das weißt du doch, oder? Ich hab ihn so sehr geliebt.«
    »Ich weiß. Ihr wart füreinander geschaffen, das konnte jeder sehen.«
    »Er fehlt mir so. Und ich bin so wütend auf ihn, weil er so leichtsinnig war und sich in den Tod gefahren hat.«
    »Ich weiß.«
    »Und uns alle im Stich gelassen hat.«
    »Ja.«
    Sie rückten ein kleines Stück voneinander ab. Rose zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und betupfte damit Pollys Augen. »Geh und leg dich ein bisschen in die Wanne, Poll«, schlug sie vor. »Du kannst unser Badezimmer benutzen, und nimm was von dem Schaumbad. Wasch alles weg. Lass dir Zeit. Danach gehen wir zur Schule, einverstanden?«
    »Okay«, sagte Polly. »Danke, Rose. Danke. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde.« Sie trat erneut auf Rose zu und nahm ihr Gesicht zwischen ihre kühlen, trockenen Hände. Sie zog Rose zu sich herunter und gab ihr einen Kuss auf die Lippen.
    Rose spürte, wie in ihrem Inneren etwas anschwoll. Tränen brannten ihr in den Augen.
    Polly zog den Kimono fester um sich und ging die Treppe hoch, langsam, als täte ihr jeder Schritt weh.
    Rose seufzte und sah zu ihrem Baby hinüber, das auf dem Boden lag und einen Sonnenstrahl beobachtete, der über den Steinfußboden tanzte.
    »Oje. Was sollen wir bloß mit ihr machen, hm, Floss?«
    Dann ging sie endlich daran, die Küche in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Aber vorher aß sie noch die perfekt gehäutete Orange, die Polly auf dem Tisch hatte liegen lassen, und der Saft lief ihr übers Kinn.

10
    F ür den Termin bei der Schulleiterin zog Polly alle Register. Nach dem Baden wusch und kämmte sie sich die Haare, und es gelang ihr sogar, ein Outfit zusammenzustellen, das weder zerrissen noch schmutzig noch durchsichtig war. Abgesehen von ihrer gespenstischen Magerkeit, hätte sie als ganz normale Mutter durchgehen können. Rose begleitete sie, einerseits um ihr den Rücken zu stärken, aber in erster Linie, um für einen reibungslosen Gesprächsverlauf zu sorgen.
    Wie sich herausstellte, verlief das Treffen ohne Probleme. An Pollys Benehmen gab es nichts auszusetzen: Sie war wortgewandt, charmant und gerade so traurig, wie es für eine kürzlich Verwitwete angemessen schien. Sie füllte die Formulare für die Schulverwaltung aus und gab sie Janet mit einem Lächeln zurück.
    »Dem ersten Eindruck nach zu urteilen,

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