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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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Nest.
    »Ja, Yannis?«
    »Kennst du irgendwelche Geschichten? Aber keine gruseligen.«
    »Lass mal sehen«, sagte Rose und hockte sich ans Fußende seines Betts. Sie konnte hören, wie Nico stöhnte und sich demonstrativ zur Wand drehte. »Es dauert nicht lange, Nico, nur bis Yannis einschlafen kann.«
    »Wenn’s sein muss«, brummte Nico.
    »Willst du hören, wie deine Mum und ich uns kennengelernt haben?«
    »Okay«, war Yannis einverstanden.
    »Also, es war ein verregneter Tag am Meer, wo wir damals gewohnt haben. Wir waren in der Schule. Unsere Grundschule lag nicht weit vom Strand.«
    »Unsere zu Hause auch«, sagte Yannis.
    »Eure liegt direkt am Wasser, stimmt’s? In der Pause konntet ihr immer am Strand spielen. Unsere Schule lag in einer großen Stadt, und es waren mehrere Straßen zwischen ihr und dem Meer, es war also nicht ganz dasselbe. An dem Tag war es ziemlich kalt und nass, deshalb hatten die Leute alle ein bisschen schlechte Laune. Nicht wie auf Karpathos, wo fast jeden Tag die Sonne scheint. Wir saßen also alle in der Klasse, als die Lehrerin sagte, dass wir eine neue Mitschülerin bekommen würden – und das war eure Mum. Sie war ganz dünn und klein, und ihre Haare sahen aus, als säße ihr eine verschreckte schwarze Katze auf dem Kopf.«
    Von oben ließ Nico ein schnaubendes Lachen hören.
    »Sie war pitschnass und sah aus wie ein kleines Frettchen, wie sie uns mit ihren kleinen Knopfaugen angestarrt hat. Sie hatte einen lilafarbenen Tutu an und rosa-schwarz-gestreifte Strumpfhosen und dicke silberne Stiefel, in denen sie aussah wie ein Hooligan. Alle haben sie ausgelacht.«
    »Mich hat heute keiner ausgelacht«, sagte Yannis.
    »Nein, die Kinder an eurer neuen Schule sind sehr nett. Damals haben alle Kinder gelacht, nur ich nicht. Ich bin aufgestanden und habe gefragt: ›Kann sie neben mir sitzen?‹ Und von da ab habe ich mich um sie gekümmert. Ich habe ihre Hand genommen und gesagt: ›Wir werden beste Freundinnen sein.‹ Und so war es dann auch.«
    Nico hatte sich wieder nach vorn gedreht und hing mit dem Kopf über der Bettkante, damit er besser zuhören konnte.
    »An diesem Nachmittag habe ich eure Mum nach der Schule mit zu mir nach Hause genommen. Wir sind kurz bei ihr vorbeigegangen, um ihrer Mutter Bescheid zu sagen, aber die lag auf dem Sofa und schlief, also haben wir ihr einen Zettel dagelassen. Habt ihr eure Großmutter mal kennengelernt?«
    »Ich, als ich noch ein Baby war«, sagte Nico. »Aber ich kann mich nicht an sie erinnern.«
    »Sie war sehr schön. Sie war ein Model, und als sie noch jünger war, konnte man ihr Bild in vielen Zeitschriften sehen. Aber als sie eure Mum bekommen hat, ging es ihr schon nicht mehr so gut, und sie konnte sich nicht richtig um sie kümmern. Wir sind also zu mir gegangen und haben Tee getrunken, und Polly hat mir ihre ganze Lebensgeschichte erzählt. Sie und ihre Mum waren gerade erst aus London nach Brighton gezogen, davor hatten sie einige Zeit in Italien gelebt und davor in Marokko. Aber in Brighton sind sie dann geblieben, weil ihre Mutter zu krank war, um noch mal umzuziehen. Das war Glück für Polly und mich. Nach der Schule haben wir uns immer gegenseitig zu Hause besucht. Mein Haus war eine Art Hotel, und wir haben in den leerstehenden Zimmern gespielt.«
    »Können wir mal hinfahren und uns das Haus ansehen?«, fragte Yannis.
    »Ach, das wurde schon vor langer Zeit verkauft«, sagte Rose. »Jetzt haben wir ja dieses Haus hier. Ich hoffe, dass ihr beide und Anna genauso gute Freunde werdet wie Polly und ich. So, und jetzt ist es Zeit zum Schlafen.« Erneut zog sie die Decken zurecht und strich sie glatt. »Es gibt noch viele, viele Abende für Geschichten.«
    »Ich kann nicht schlafen, Rose«, sagte Yannis, und seine Lippe bebte.
    »Ach je, Yannis, komm her.« Rose legte sich neben ihn aufs Bett. Sie wusste, dass Flossie bald gestillt werden musste, aber sie brachte es nicht übers Herz, den armen kleinen Jungen einfach so in diesem dunklen, fremden Zimmer zurückzulassen. Sie hielt ihn im Arm, summte ein Lied, strich ihm über den Kopf und war sich ganz sicher, noch den wilden Oregano in seinem Haar riechen zu können. Innerhalb weniger Minuten war er mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen eingeschlafen.
    Rose stand auf. »Ist es in Ordnung, wenn ich jetzt gehe, Nico?«, flüsterte sie.
    »Schläft er?«
    »Ja.«
    »Dann geh nur. Ich krieg das schon hin.« Er streckte die Hand aus und drückte ihre Schulter.
    Wie ein kleiner

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